Antisemitismus als kulturhistorisches Phänomen
Sammlung wichtiger Ereignisse und Narrative; Stand 11.12.21 nur bis 1900
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(2.) Eroberung Jerusalems (Nebukadnezar II.)
> Am 20. August 587 v. Chr.greg. (7. Abu) ließ Nebukadnezars Beamter Nabu-šarra-iddina (Nebusaradan), laut der Bibel Kommandant der Leibwache, nach der Plünderung den Tempel (dabei ging vermutlich die Bundeslade verloren) und alle größeren Gebäude Jerusalems in Brand setzen; der Rest der judäischen Oberschicht und ein Teil des Volkes wurden in die Gefangenschaft geführt (siehe Babylonisches Exil). Damit endete das Reich Juda. [Wikipedia - Eroberung_von_Jerusalem_(587/586_v._Chr.)](https://de.wikipedia.org/wiki/Eroberung_von_Jerusalem_(587/586_v._Chr.))
"Babylonisches Exil"
(1.) Eroberung Jerusalems (Nebukadnezar II.)
> Ein Teil der Bevölkerung (v. a. Angehörige der Oberschicht) wurde nach Babylon gebracht. Nebukadnezar setzte König Jojachin ab und ersetzte ihn durch Zedekia, den er einen Treueeid schwören ließ (2 Chr 36,13 EU und Ez 17,13 EU). Zedekia brach allerdings in seinem neunten Regierungsjahr (589 bis 588 v. Chr.) dieses Versprechen, da er vermutlich Anstrengungen unternahm, eine antibabylonische Koalition zu schmieden (Jer 39,5 EU und 2 Kön 25,6 EU). Daraufhin wurde die Stadt 587/586 v. Chr. ein weiteres Mal unter dem babylonischen König erobert, diesmal aber völlig zerstört. [Wikipedia - Eroberung von Jerusalem (597 v. Chr.)](https://de.wikipedia.org/wiki/Eroberung_von_Jerusalem_(597_v._Chr.))
Elephantine
> "Das erste bekannte Ereignis der jüdischen Geschichte, das als Ausbruch antijüdischer Stimmungen verstanden werden kann, fand in der ägyptischen Militärkolonie auf Elephantine statt. > Die Juden in Elephantine waren Teil einer kulturell und ethnisch gemischten Bevölkerung mit einer Mehrheit von einheimischen Ägyptern, die relativ friedlich miteinander lebte, arbeitete und Handel trieb. Diese Koexistenz zwischen Ägptern und Juden wurde gewaltsam unterbrochen (und kam wahrscheinlich bald darauf zu einem endgültigen Abbruch), als die Ägypter mit Hilfe der persischen Regionalbehörde den jüdischen Tempel in Elephantine zerstörten." *Schäfer 2010, S. 177.* > "Der 'Katalysator', der den Konflikt zuspitzte und Schritt für Schritt schließlich zum Ausbruch brachte, war die persische Herrschaft über Ägypten, genauer die Kollaboration zwischen den Juden von Elephantine und den Persern. > In diesem Dreiek aus Ägyptern, Persern und Juden, mit all seinen religiösen und politischen Dimensionen und Implikationen, muß der Hass auf die Juden definiert werden. In dieser komplizierten Beziehung zwischen einheimischen Ägyptern, persischen Unterdrückern und jüdischen Söldnern stehen die Juden von allem Anfang an die ganze Zeit über auf der Seite der Perser." *Schäfer 2010, S. 194.*
Juden als 'Kollaborateure' auswärtiger Unterdrücker
>Wie in Elephantine unterstützen die Juden die verhaßten Besatzer (Perser in Elephantine/Römer in Alexandria) und schließen sich den einheimischen Ägyptern in ihrem Kampf gegen gegen die Unterdrückung nicht an. >Folglich kämpfen die Ägypter nicht nur gegen die Perser/römer, sondern auch gegen die Juden, die sie in ihren wesentlichen Forderungen (Tempelkult in Elephantine/Bürgerrecht in Alexandria) zu beschneiden versuchen; das berührt den empfindlichen Teil ihrer wechselseitigen Beziehung. >In einem vermeintlich günstigen Augenblick tun sie (die Ägypter beziehungsweise die Ägypter und die Griechen) sich mit den persischen/römischen Regionalbehörden (dem persischen Regionalgouverneur in Elephantine/dem römischen Präfekten in Alexandria) gegen die Juden zusammen - aber die persische/römische Oberherrschaft beschützt die Juden und bestraft den persischen/römischen Gouverneur. Selbst die Intervention 'auswärtiger' jüdischer Behörden, die von den Fremdherrschern unterstützt werden, ist beide Male vorhanden. Schäfer 2010, S. 196. >Was in Elephantine (wie auch in Alexandria) sehr stark zum Ausdruck kommt, ist ein ägyptischer Nationalismus, der von religiösen Emotionen genährt wird und sich gegen die auswärtigen Unterdrücker und ihre jüdischen 'Kollaborateure' richtet. Schäfer 2010, S. 197.
Eroberung Jerusalems (Antiochos IV.)
> Granius Licinianus 28,6 schreibt, dass Antiochos einen Tempel in Hierapolis-Bambyke plündern ließ; außerdem soll er den JHWH-Tempel in Jerusalem und einen Tempel in der Elymaïs geplündert haben. Peter Franz Mittag merkt hierzu kritisch an, dass der Griff in einen Tempelschatz ein literarischer Topos war, geeignet, um politische und militärische Leistungen eines Herrschers herabzusetzen, da sie durch einen derartigen Frevel finanziert worden seien. Er spricht jedoch von einer Eskalation der Spannungen unter Menelaos, die im Raub des Tempelschatzes kulminierte. Kay Ehling hingegen geht davon aus, dass Antiochos die Plünderung des Jerusalemer Tempels befohlen habe und dabei vom pro-seleukidischen Hohepriester Menelaos unterstützt worden sei. Der Gipfel des Sakrilegs bestand darin, dass der König das Allerheiligste betrat, was nur dem Hohepriester einmal jährlich gestattet war. „Doch war der Raub des Tempelgutes keine judenfeindliche Aktion an sich, sondern bewegte sich in den Bahnen seleukidischer Geldbeschaffungsmaßnahmen.“ Michael J. Taylor konstatiert, dass Antiochos IV. sich unter den Seleukidenherrschern in besonderem Maße den Ruf eines Tempelräubers erworben habe. Obwohl Antiochos am Beginn seiner Regierung hohe Zahlungen an Rom aufzubringen hatte, seien seine Übergriffe auf Tempel nicht eine Folge von Finanznot gewesen. Der Herrscher habe vielmehr eine ambitionierte dynastische Politik verfolgt. Für die Finanzierung seiner langfristigen militärischen und diplomatischen Ziele habe er in Kauf genommen, kurzfristig Teile der Bevölkerung durch Tempelraub gegen sich aufzubringen. Letztlich habe sich dieses Vorgehen durch den Widerstand, den er damit provozierte, nicht ausgezahlt. [Wikipedia - Antiochos IV.](https://de.wikipedia.org/wiki/Antiochos_IV.#Tempelpl%C3%BCnderungen)
"Makkabäer-Aufstand"
Hasmonäer
Cicero: "Pro Flacco"
> Der erste Autor, der als Beleg für römischen 'Antisemitismus' angesehen wird, ist der große Redner der ausgehenden Republik, Cicero (106-43 v. Chr.), in seiner Rede *Für Flaccus* (*Pro Flacco*), die er im Oktober 59 v. Chr. hielt. > Zusammen mit Quintus Hortensius verteidigte Cicero den früheren Statthalter der römischen Provinz Asia, Lucius Valerius Flaccus, dem Korruption vorgeworfen wurde. Ein Anklagepunkt lautete, daß er das 'Gold' konfesziert habe, das die Juden in seiner Provinz für den Tempel in Jerusalem gesammelt haben, also offenbar die jährlichen Halbschekel- oder Didrachmensteuer. Schäfer 2010, S. 260. > Die Juden als Interessenverband, der seinen Einfluß in öffentlichen Versammlungen geltend macht, sind das Ziel von Ciceros Attacke. > [...] > Hier geht es Cicero hauptsächlich darum, den störenden 'jüdischen Haufen' herabzuwürdigen und Flaccus dafür zu loben, daß er den Mut zu seinem Vorgehen hatte. Was ihn ärgert, ist, daß diese 'Clique' (*turba*) in den Versammlungen (*in contionibus*) so einflußreich geworden ist, daß man sich ihrer kaum erwehren könne. Aber sein Hauptargument lautet, daß es 'im öffentlichen Interesse' liege, gegen diesen stetig wachsenden Einfluss Widerstand zu leisten, un dieses Staatswohl wird natürlich am besten durch ihn und seine Freunde, 'alle Rechtschaffenen', repräsentiert. > Aus Ciceros Sicht stehen einander also der 'jüdische Haufen' und 'alle Rechtschaffenen' gegenüber. Schäfer 2010, S. 260f. > Cicero stellt sich als Verteidiger der traditionellen römischen Werte, des *mos maiorum*. dar. Die jüdische *religio*, behauptet er, stand schon immer im Widerspruch zur römischen *religio*, weil sie mit den traditionellen römischen Bräuchen und Einrichtungen nicht vereinbar ist. Schäfer 2010, S. 263. > Ciceros Argument zeigt also eine Mischung aus Abneigung gegen Juden und Angst vor ihnen. Cicero und die von ihm repräsentierte Gruppe mögen die Juden nicht, weder ihr Verhalten noch ihre Bräuche; und zugleich fürchten sie den wachsenden Einfluß der Juden, der in ihren Augen das traditionelle Wertesystem Roms zerstören würde. Schäfer 2010, S. 263.
Abneigung gegen Juden und Angst vor ihnen
jüdischer Einfluss bedrohe traditionelles Wertesystem
Klientelkönigreich (röm.)
Herodes der Große
Alexandria
> Der gewaltsamste Ausbruch antijüdischer Stimmungen in der Antike ist mit der Stadt Alexandtia verbunden. > Nach Josephus hatte ihr Gründer Alexander den Juden erlaubt, sich in Alexandria anzusiedeln, 'und ihnen mit den Mazedoniern gleichen Rang zuerkannt'. Ob das nun stimmt oder nicht, jedenfalls konnte die jüdische Bevölkerung dort auf eine lange und meist friedliche Geschichte zurückblicken. > Dies änderte sich allerdings, als die Römer nach und nach die Vorherrschaft in Ägypten übernahmen. DIe griechische und die ägyptische Bevölkerung im Land war bekanntermaßen antirömisch eingestellt, und die Unterstützung, welche die ägyptischen Juden Caesar während seines Ägyptenfeldzugs (48/47 v. Chr.) geleistet hatten, war sicherlich nicht dazu geeignet, ihre Beliebtheit bei ihren griechischen und ägyptischen Nachbarn zu steigern. Als Augustus (im Jahr 24/23 v. Chr.?) eine Kopfsteuer (*laographia*) einführte, von der nur die griechischen Bewohner Alexandrias ausgenommen waren, wurde die Frage des Bürgerrechts in Alexandria akut; sie trug erheblich zu den Spannungen zwischen den verschiedenen, konkurrierenden Gruppen bei. Schäfer 2010, S. 198. > Der Regierungsantritt Gaius Caligula im Jahr 37 n.Chr. markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Juden in Alexandria. Der Präfekt Ägyptens, A. Avillius Flaccus, den Caligulas Vorgänger Tiberius im Jahr 32 n. Chr. ernannt hatte, mußte damit rechnen, daß er im Zuge des Thronwechsels aus seinen Amt abberufen werden würde. > Im August 38 n. Chr. besuchte der neuernannte jüdische König Agrippa I. - Caligula hatte ihm die frühere Tetrarchie des Herodessohnes Philippus übertragen - Alexandria; seine Ankunft signalisierte den Ausbruch der Unruhen unter der griechischen und ägyptischen Bevölkerung Alexandrias, der zu den mörderischen Krawallen gegen die Juden führte. > Welche Rolle Flaccus genau dabei spielte ist unklar; nach Philo genehmigte Flaccus die Aufstellung von Bildnissen Caligulas in den Synagogen, erließ ein Dekret gegen die Gewährung des Bürgerrechts an die Juden und tolerierte schließlich - oder veranlaßte sogar - die Plünderung jüdischer Häuser und die Ermordung der alexandrinischen Juden. > [...] > Wir erfahren nicht viel über das Schicksal der jüdischen Gemeinde nach dem Pogrom vom August 38. Der Friede zwischen den Juden und ihren alexandrinischen Nachbarn kann aber nicht sehr stabil gewesen sein; denn im Winter 39/40 wurden zwei Delegationen nach Rom gesandt, um ihren Fall vor dem Kaiser zu vertreten. Schäfer 2010, S. 198f. > Den analysierten Quellen zufolge (Philo, Josephus, Claudius-Brief, Akten der alexandrinischen Märtyrer) kann es keinen Zweifel geben, daß der Kampf zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppierungen in Alexandria (Griechen, Juden, Ägypter) der Hauptfaktor war, der die Ereignisse bestimmte und im Sommer des Jahres 38 n. Chr. zur Explosion führte. Die Rivalität im Blick auf den zivilrechtlichen Status ist das Leitmotiv, das alle unsere Quellen durchzieht. Schäfer 2010, S. 226. > Der Konflikt zwischen Juden, Griechen und Ägyptern in Alexandria war in erster Linie ein politischer; es gibt keinerlei Hinweis darauf, daß religiöse Fragen involviert gewesen seien. > Er wurde ausgelöst und angeheizt [...] durch Verschiebungen in der empfindlichen Machtbalance zwischen den konkurrierenden ethnischen Gruppierungen: die Thronbesteigung des Gaius Caligula. worin die Griechen eine Chance erblickten, die Frage nach dem Bürgerrecht in ihrem Sinne zu klären; Agrippas Besuch in Alexandria, der zugunsten der Juden auszufallen drohte und nach Gegenmaßnahmen seitens der Griechen verlangte; und schließlich die Thronbesteigung des Claudius, die erneute Bemühungen beider Parteien erforderlich machte und zu einem neuen, aber instabilen Machtgleichgewicht führte. Schäfer 2010, S. 227.
zivilrechtliche Rivalität bei instabilem Machtgleichgewicht
> Der Konflikt zwischen Juden, Griechen und Ägyptern in Alexandria [38 n.Chr.] war in erster Linie ein politischer; es gibt keinerlei Hinweis darauf, daß religiöse Fragen involviert gewesen seien. > Er wurde ausgelöst und angeheizt [...] durch Verschiebungen in der empfindlichen Machtbalance zwischen den konkurrierenden ethnischen Gruppierungen: die Thronbesteigung des Gaius Caligula. worin die Griechen eine Chance erblickten, die Frage nach dem Bürgerrecht in ihrem Sinne zu klären; Agrippas Besuch in Alexandria, der zugunsten der Juden auszufallen drohte und nach Gegenmaßnahmen seitens der Griechen verlangte; und schließlich die Thronbesteigung des Claudius, die erneute Bemühungen beider Parteien erforderlich machte und zu einem neuen, aber instabilen Machtgleichgewicht führte. Schäfer 2010, S. 227.
"Jüdischer Krieg"
Eroberung Jerusalems (Titus)
altkirchliche Gemeindeordnung
> Da bestimmt eine altkirchliche Gemeindeordnung (um 100 etwa) zum Beten der Christen: *Wenn ihr betet, dann betet nicht wie die Heuchler* (es sind die Juden gemeint); zum Fasten: *Wenn ihr fastet, dann fastet nicht wie die Heuchler* (wieder die Juden) - deutliche und feindselige Absetzung und Abgrenzung! > [...] > Doch übersehen wir auch das nicht: auf der anderen Seite geht man den gleichen Weg der Absetzung und Absonderung. Da wird den dem sogen. 'Achtzehnbittengebet' eine Fluchformel gegen die Abtrünnigen aufgenommen: > [...] > Juden, die den Weg zum Christentum fanden, wurden damit [Moralkatechismus] von der jüdischen Gebetsgemeinde ausgeschlossen und verflucht. Frank 1981, S. 31f.
'Adversus Judaeos'-Traktate
> Vom 2. bis hinein ins 7. Jahrhundert gibt es eine ganze Reihe christlicher Schriften, die unter diesem Titel veröffentlicht wurden. > Nach ein paar verlorenen Traktaten eröffnet Tertullian den Reigen der erhaltenen Kampfschriften gegen die Juden, und altkirchliche Schriftsteller von Rang und Namen schließen sich ihm an. Auch unter dem reichen literarischen Schaffen Augustins findet sich ein Traktat gegen die Juden; Isidor von Sevilla beendet im 7. Jahrhundert diese Art altkirchlischen Schrifttums. > Die Thematik wird freilich nicht nur in den in diesen polemischen Traktaten behandelt, sondern in zahlreichen anderen Schriften der Kirchenväter, so daß 'Adversus Judaeos' hier einfach alle antijüdische Polemik und Aktivität der Alten Kirche meint. Frank 1981, S. 32. > Titel verschiedener patristischer Traktate, die sich apologetisch mit dem Verhältnis des Christentums zum Judentum auseinandersetzen (Tertullianus, Cyprianus, Johannes Chrysostomos, Augustinus) und weitere Werke gleichen Inhalts (Barnabasbrief, der Brief an Diognetos, Justinus' Dialog, die Passa-Homilie des Melito etc.). Im Vordergrund steht weniger Judenfeindschaft und Mission, sondern die innerchristl. Belehrung und rel. Unterweisung, die die christl. Glaubensinhalte angesichts der als Provokation empfundenen Existenz des Judentums zu legitimieren versuchen. Die Darlegungen beruhen nicht auf konkreten histor. Ereignissen, sondern sind vor dem Hintergrund von Typologie und Allegorese der Hl. Schrift zu sehen: In willkürlicher Weise werden Verheißungen auf das Christentum gedeutet, Strafandrohungen auf das Judentum. Lit. Konventionen und eine begrenzte Anzahl von Argumentationsmustern kreisen um eine enge Themenauswahl: Die Uneinsichtigkeit und Verstocktheit der Juden bedeutet das Ende des Alten Bundes; Tempelzerstörung und Exil sind Strafe für die Nicht-Anerkennung Jesu als Messias; an der Schuld des Gottesmordes haben alle künftigen Geschlechter der Juden zu tragen. Im 5. Jh. verändert sich der Charakter dieser Lit. und erhält legendenhafte Züge (z. B. die Sylvesterakten). Die A. J.-Texte erweisen die Juden ›letztendlich als unbewältigtes Problem christlichen Selbstverständnisses‹ (Schreckenberg). Beate Ego 2006 - DNP
2. Korintherbrief
> Die ersten Christen hatten keine andere schriftlich festgelegte Offenbarung als als eben das Alte Testament. Doch schon in den neutestamentalischen Schriften klingt in verschiedener Weise an, daß die Schriften des Alten Bundes nun anders gelesen werden müssen: nicht auf irgendeinen und irgendwann kommenden Messias hin, sondern vom gekommenen und erlebten Herrn Jesus Christus her. > Das aber vermögen die Juden nicht: Immer, wenn sie ihre heiligen Bücher lesen, liegt eine Hülle auf dem Buch oder auf ihren Herzen und so können sie den wahren Sinn der Botschaft nicht verstehen (2 Kor. 3, 14-15). Frank 1981, S. 34f. > 1 Fangen wir denn abermals an, uns selbst zu empfehlen? Oder brauchen wir, wie gewisse Leute, Empfehlungsbriefe an euch oder von euch? > 2 Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben, erkannt und gelesen von allen Menschen! > 3 Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen. > 4 Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott. > > 5 Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott, > 6 der uns auch tüchtig gemacht hat zu ****Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.**** > > 7 Wenn aber schon das Amt, das den Tod bringt und das mit Buchstaben in Stein gehauen war, Herrlichkeit hatte, sodass die Israeliten das Angesicht des Mose nicht ansehen konnten wegen der Herrlichkeit auf seinem Angesicht, die doch aufhörte, > 8 wie sollte nicht viel mehr das Amt, das den Geist gibt, Herrlichkeit haben? > 9 Denn wenn das Amt, das zur Verdammnis führt, Herrlichkeit hatte, wie viel mehr hat das Amt, das zur Gerechtigkeit führt, überschwängliche Herrlichkeit. > 10 Ja, jene Herrlichkeit ist nicht für Herrlichkeit zu achten gegenüber dieser überschwänglichen Herrlichkeit. > 11 Denn wenn das Herrlichkeit hatte, was aufhört, wie viel mehr wird das Herrlichkeit haben, was bleibt. > > 12 Weil wir nun solche Hoffnung haben, sind wir voll großer Zuversicht > 13 und tun nicht wie Mose, der eine Decke vor sein Angesicht hängte, damit die Israeliten nicht sehen konnten das Ende der Herrlichkeit, die aufhört. > 14 ****Aber ihre Sinne wurden verstockt.**** Denn bis auf den heutigen Tag bleibt diese Decke unaufgedeckt über dem Alten Testament, wenn sie es lesen, weil sie nur in Christus abgetan wird. > 15 Aber bis auf den heutigen Tag, wenn Mose gelesen wird, hängt die Decke vor ihrem Herzen. > 16 ****Wenn Israel aber sich bekehrt zu dem Herrn, so wird die Decke abgetan.**** 2 Kor. 3, 1-16 - [Lutherbibel 1984, bibelwissenschaft.de](https://www.bibelwissenschaft.de/bibelstelle/2Kor2,14-4,6/)
'Verstocktheit' der Juden
> Die ersten Christen hatten keine andere schriftlich festgelegte Offenbarung als als eben das Alte Testament. Doch schon in den neutestamentalischen Schriften klingt in verschiedener Weise an, daß die Schriften des Alten Bundes nun anders gelesen werden müssen: nicht auf irgendeinen und irgendwann kommenden Messias hin, sondern vom gekommenen und erlebten Herrn Jesus Christus her. > Das aber vermögen die Juden nicht: Immer, wenn sie ihre heiligen Bücher lesen, liegt eine Hülle auf dem Buch oder auf ihren Herzen und so können sie den wahren Sinn der Botschaft nicht verstehen (2 Kor. 3, 14-15). Frank 1981, S. 34f. > 12 Weil wir nun solche Hoffnung haben, sind wir voll großer Zuversicht > 13 und tun nicht wie Mose, der eine Decke vor sein Angesicht hängte, damit die Israeliten nicht sehen konnten das Ende der Herrlichkeit, die aufhört. > 14 ****Aber ihre Sinne wurden verstockt.**** Denn bis auf den heutigen Tag bleibt diese Decke unaufgedeckt über dem Alten Testament, wenn sie es lesen, weil sie nur in Christus abgetan wird. > 15 Aber bis auf den heutigen Tag, wenn Mose gelesen wird, hängt die Decke vor ihrem Herzen. > 16 ****Wenn Israel aber sich bekehrt zu dem Herrn, so wird die Decke abgetan.**** 2 Kor. 3, 12-16 - [Lutherbibel 1984, bibelwissenschaft.de](https://www.bibelwissenschaft.de/bibelstelle/2Kor2,14-4,6/)
Meliton von Sardes: 'De Pascha'
> Wir stehen damit vor der ältesten erhaltenen Osterhomilie, die zudem noch ein besonderes Interesse dadurch gewinnt, daß Melito nach Polykrates Quartodezimaner war, also dem Kreis kleinasiatischer Christen angehörte, die das Passafasten mit den Juden am 14. Nisan und nicht unbedingt an einem Sonntag beendeten. Man könnte daher in dieser Homilie Bekundungen eines urtümlichen, dem jüdischen sehr nahestehenden christlichen Festbrauchs erwarten. Sie ist in dieser Hinsicht auch ausgewertet worden, doch sollte dabei nicht übersehen werden, daß die Vertreter der sonntäglichen Osterfeier anscheinend nichts darin gefunden haben, was ihrer eigenen Übung unangemessen gewesen wäre; sämtliche Papyri stammen aus Ägypten, für das kein quartodezimanischer Brauch belegt ist und wo die sonntägliche Osterfeier gehalten wurde. Stuart Hall 2010 - TRE > PP beginnt mit einem Prolog und einem Summarium von Ex 12,1–29. Gegenstand des ersten Teils (1–45) ist im wesentlichen, daß die Geschehnisse und Typen des Passa, das Passalamm, in Jesus Christus und der Kirche erfüllt und aufgehoben sind. Er enthält eine dramatische Schilderung der furchtbaren Leiden der Ägypter, während Israel verschont blieb (16–29). Der zweite Teil (46–105) erläutert die Bedeutung von πάσχα (pascha), das fälschlich von πάσχειν (leiden) abgeleitet wird. Es ist einmal das Leiden der Menschheit nach der Sünde Adams und dasjenige Christi, wie es im Alten Testament vorausgesagt ist (46–65), und zum anderen die Ankunft, das Leiden und die Erhöhung Christi (66–105). ****Einbezogen ist eine heftige Anklage gegen Israel, das mit der Folge seiner eigenen Zerstörung seinen Wohltäter und Gott öffentlich zu Tode gebracht hat (72–99).**** Dieses Stück entspricht der Gerichtsrede gegen Ägypten im ersten Teil. Stuart Hall 2010 - TRE > Zugleich aber ist es schroff abweisend Israel gegenüber und hat dadurch eine wachsende Erörterung über die Stellung Melitos als des „ersten Dichters des Gottesmordes“ in der Geschichte des → Antisemitismus ausgelöst (Werner; Wilson). Ansprechend erscheint die Vermutung, seine feindselige Einstellung könnte durch die Existenz einer großen und reichen jüdischen Gemeinde in Sardes bedingt sein (so Kraabel), doch sind die Belege für das Bestehen einer solchen Gemeinde im 2. Jh. unzulänglich (Norris). PP 1–45 entspricht möglicherweise einer in der Diaspora üblichen synagogalen Lesung von Ex 12 an einem Sabbat kurz vor dem Passa. Melito ist daran gelegen, die Geltung des Alten Testaments als Typos und Weissagung zu behaupten. In einem durch den Druck gnostischer und markionitischer Vorstellungen mitbestimmten Umfeld erklärt sich daraus zu einem guten Teil sein Bestreben nach einer Absetzung vom Judentum. Stuart Hall 2010 - TRE
'Gottesmörder'
> Ausdrücklich und klar fassbar wird das zum ersten Mal im späten 2. Jahrhundert. Ein kleinasiatischer Bischof, Meliton von Sardes, rückt in eine von gekonnter Rhetorik geformten Predigt eine harte Abrechnung mit Israel ein: > [... siehe 'Meliton von Sardes: 'De Pascha'] > Das furchtbare Wort vom Gottesmord ist in die altkirchlische Predigt und antijüdische Polemik aufgenommen worden, aus der es nicht mehr verschwinden sollte. [...] Die so festgelegte Schuld am Tode Jesu wird den Juden wie eine Erbschuld aufgebürdet, und alles bittere Unrecht und Unheil, das über dieses Volk kommen wird, ist notwendige Strafe und Buße für jeene Schuld (auch diese Schuldverhaftung initiierte schon Melito in seiner Predigt. Frank 1981, S. 36.
Kallinikon
> Im Jahre 388 wurde in Kallinikon, einer kleinen Stadt am Euphrat, die Synagoge niedergebrannt. Die Brandstifter waren in der christlichen Gemeinde zu suchen; Mönche und der Ortsbischof selbst hatten wohl ihre Hände in dem üblen Unternehmen. > Das war eindeutiges Verbrechen, Rechtsbruch. Kaiser Theodosius verlangte die gesetzliche Bestrafung der Verbrecher und die Wiedergutmachung des angestifteten Schadens. Mit all dem sollte gültiges Recht als unbedingt zu respektieren erkannt werden. > Aber nun erhob sich christlicher Protest. Ambrosius (339/40-397), der bedeutende Bischof der kaiserlichen Residenzstadt Mailand und enger Vetrauter des Kaisers dazu, formulierte ihn. [...] > Die Untat von Kallinikon blieb ungesühnt. Frank 1981, S. 38f. > Soll denn der Ort des jüdischen Unglaubens aus der bei den Christen gemachten Beute erbaut werden? Soll das dank Christi Wohlwollen gesammelten Geld in den Besitz der Ungläubigen übergehen? > [...] > Überhaupt, was soll der Wiederaufbau einer Synagoge: Ort des Unglaubens, Heimstätte der Gottlosigkeit, Schlupfwinkel des Wahnsinns, der von Gott selbst verdammt worden ist. Willst du den Juden solchen Triumph über die Kirchen gewähren, solchen Sieg über über das christliche Volk, diesen Ruhm der Synagoge über die Trauer der Kirche? > [...] > Was hat denn der Fromme gemein mit dem Unglauben? Mit den Ungläubigen müssen auch die Äußerungen des Unglaubens verschwinden. > [...] > ****Das Recht der christlichen Frömmigkeit steht über jedem staatlichen Recht.**** Ambrosius (339/40-397), Epistula 40 (Migne, Patrologia latina 16, S. 1148-1160 - Übersetzung: Frank 1981, S. 38f.
"Das Recht der christlichen Frömmigkeit steht über jedem staatlichen Recht."
> Soll denn der Ort des jüdischen Unglaubens aus der bei den Christen gemachten Beute erbaut werden? Soll das dank Christi Wohlwollen gesammelten Geld in den Besitz der Ungläubigen übergehen? > [...] > Überhaupt, was soll der Wiederaufbau einer Synagoge: Ort des Unglaubens, Heimstätte der Gottlosigkeit, Schlupfwinkel des Wahnsinns, der von Gott selbst verdammt worden ist. Willst du den Juden solchen Triumph über die Kirchen gewähren, solchen Sieg über über das christliche Volk, diesen Ruhm der Synagoge über die Trauer der Kirche? > [...] > Was hat denn der Fromme gemein mit dem Unglauben? Mit den Ungläubigen müssen auch die Äußerungen des Unglaubens verschwinden. > [...] > ****Das Recht der christlichen Frömmigkeit steht über jedem staatlichen Recht.**** Ambrosius (339/40-397), Epistula 40 (Migne, Patrologia latina 16, S. 1148-1160 - Übersetzung: Frank 1981, S. 38f.
Augustin: 'De civitate Dei'
> An die Stelle der gehässigen Polemik tritt bei Augustinus Mitleid, überhebliches Mitleid, das auch zu keinem freundlicher bestimmten Verhältnis führt. Dazu braucht er in seiner großangelegten Apologetik des Christentums die Juden: > [...] > Töten darf man die Juden nicht. Gott selbst hat sie ja auch nicht getötet. Aber ihre Zerstreuung ist Gottes Strafe. Ihr Dasein als gefährdete, ungeliebte Minderheit am Rande der Gesellschaft ist gottgewollt. > Ihr heimatloses Herumirren und Zerstreutsein wird zur heilsgeschichtlichen Notwendigkeit, da sie die Auserwählung des neuen Gottesvolkes in seiner universalen Versammlung deutlich macht. Frank 1981, S. 42. > Ihr seid zerstreut vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang (Umkehrung der Verheißung in PS. 50, 1). Gehört ihr nun nicht zu den Feinden dessen, der im Psalm spricht: 'Mein Gott hat mir an meinen Feinden bewiesen: Töte sie nicht, damit sie dein Gesetz vergessen, zerstreue sie vielmehr in deiner Macht' (Ps. 59, 11-12)? Deshalb könnt ihr das Gesetz Gottes nicht vergessen, müßt es überall hintragen dem Volke zum Zeugnis, jenem Volk, das wirklich vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang berufen ist [...] Augustin - Adversus Judaeos 7, 9 (Migne, Patrologia latina 42, 57); vlg. Vom Gottesstaat 18, 46.
'Töten darf man Juden nicht; ihre Zerstreuung ist Gottes Strafe'
I. Kreuzzug: Pogrome
> Am 27. November 1095, gegen Ende des Konzils von Clermont, ruft Papst Urban II. vor einer großen Menge meist niederen französischen Adels zum Heidenkrieg auf, zur Waffenhilfe für die von den muslimischen Seldschuken bedrängten östlichen Christenheit, und gewährt dafür den Teilnehmern Nachlaß aller kirchlichen Bußstrafen. > Der Widerhall ist unerwartet groß. Die Propaganda der Amtskirche und der einflußreichen asketischen Wanderprediger mit und ohne kirchlichen Auftrag tragen den Aufruf wirksam verändert weiter: wer mitzieht, das Grab Christi in Jerusalem den Heiden zu entreißen, sei aller Sünden ledig. > Der Erfolg der Propaganda ist enorm und unkontrollierbar. Mertens 1981, S. 47f. > In Rouen gibt es um die Jahrtausendwende 1095/96 eine erste Judenverfolgung - Taufe oder Tod - durch Kreuzfahrer, denen der Weg zu weit ist: > >'Wir wollen die Feinde Gottes im Osten bekämpfen, wofür wir große Entfernungen überwinden müssen. Das ist eine verfehlte Mühe, da wir schon hier vor unseren Augen die Juden haben, die doch die ärgsten Feinde Gottes sind.' > *Guibert de Nogent, Histoire de sa vie (1053-1124). Hg. v. Georges Bourgin. Paris 1907, S. 118.* > 1096er Pogrome sind aus den folgenden Orten bekannt: Speyer, Worms, Mainz, Trier und Metz; Köln, Neuß, Xanten - und zwar in dieser Reihenfolge und Himmelsrichtung, die freilich nicht nach Jerusalem weist. > Innerhalb zweier Monate (Mai und Juni) bevor das reguläre Kreuzritterheer sich gesammelt hat, sind alle wichtigen Judengemeinschaften des rheinfränkischen-lothringischen Raumes nahezu vernichtet. > Hinzu kommen schließlich auf dem Weg des Kreuzfahrerhaufen nach Ungarn Regensburg [...] und Prag. > [...] > Nach vorsichtiger Schätzung beträgt die Zahl der Opfer von 1096 insgesamt 4000 bis 5000. Mertens 1981, S. 48f. ---- > Am Mainzer Pogronm sind folgende Züge typisch für die meisten anderen Orte: > die Judengemeinschaft ist städtisch und bedeutend, sie ist angesiedelt in einer Bischofsstadt oder bischöflichen Stadt, sie vertraut auf die Herrschaftsträger, den Schutzbrief des Kaisers bzw. die bischöflichen Stadtherren; der Schutz wird gewährt, zumeist auch in der Bischofspfalz selbst, aber er versagt angesichts der fanatisierten Massen; die Judenschützer geraten selbst in Lebensgefahr und raten den Juden die Taufe an. > Das Verhalten der Stadtbewohner diviergiert in fataler Weise: der Stadtherr, seine Ministrialen und große Kaufleute stehen gegen andere städtische Schichten, die sich mit den stadtfremden Scharen gegen die Juden und den Stadtherrn verbinden. Die Juden sind waffengeübt und kämpfen; sie töten in auswegsloser Lage ihre Kinder [...] uns sie töten sich selbst [...]. Mertens 1981, S. 50.
'nahe/erreichbare Feinde Gottes'
'Jerusalemer Blutbad'
> In Jerusalem richten die Kreuzritter, 1099 endlich am Ziel, bei der Erstürmung der Stadt unter Muslimen und Juden ein grauenvolles Blutbad an; Muslime und Juden haben die Mauern gemeinsam verteidigt. > [...] > Die Kreuzritter treffen in Palästina auf den Widerstand der gesamten nichtchristlichen Bevölkerung, siegen über sie und verhalten sich wie Sieger, anfangs im Blut- und Beuetrausch, später den Notwendigkeiten eines Staatsaufbaus un den von diesen vorgezeichneten Grundlinien des Zusammenlebens Rechnung tragend. > Eine prinzipielle 'Sonderbehandlung' der Juden ist weder beim Erobern und Niedermachen noch dann beim Beherrschen und Besteuern zu erkennen. Mertens 1981, S. 50f.
I. Kreuzzug
II. Kreuzzug
III. Kreuzzug
IV. Kreuzzug
VI. Kreuzzug
VII. Kreuzzug
Ritualmordbeschuldigung: Willam von Norwich
> In der Ritualmordbeschuldigung wird den Juden vorgeworfen, dass sie, aus Hass gegen Christus und die Christen, gemäß ihrer Lehre, unter Anleitung von Rabbinern, alljährlich in der Osterzeit zur neuerlichen Verhöhnung der Passion Jesu ein unschuldiges christliches Kind (meist einen Knaben) in ritueller Form ermorden (erste nachantike Beschuldigung: 1144 in Norwich). Nach der Verkündung der Transsubstantiationslehre durch das IV. Laterankonzil 1215 kam das Motiv der Blutentnahme hinzu. Rainer Erb, "Ritualmordbeschuldigung", Handbuch des Antisemitismus Bd. III, S. 293f.
Ritualmordbeschuldigung
> In der Ritualmordbeschuldigung wird den Juden vorgeworfen, dass sie, aus Hass gegen Christus und die Christen, gemäß ihrer Lehre, unter Anleitung von Rabbinern, alljährlich in der Osterzeit zur neuerlichen Verhöhnung der Passion Jesu ein unschuldiges christliches Kind (meist einen Knaben) in ritueller Form ermorden (erste nachantike Beschuldigung: 1144 in Norwich). Nach der Verkündung der Transsubstantiationslehre durch das IV. Laterankonzil 1215 kam das Motiv der Blutentnahme hinzu. > > Von England ausgehend, verbreitete sich die Ritualmordlegende über ganz Europa (Schwerpunkte: England, Frankreich, Spanien, entlang von Rhein und Main, am Bodensee, im Alpenraum, ab dem 16. Jahrhundert in Polen). Unter dem Einfluss christlicher Missionare und antisemitischer Agitatoren wanderte die Beschuldigung ab dem 19. Jahrhundert in die Levante und löste regelmäßig Judenverfolgungen aus. Trotz der Zurückweisung der Anklagen, Verbote und Proteste von Kaisern und einzelnen Päpsten wurden viele der angeblichen Mordopfer (in Europa lassen sich zwei Dutzend Fälle nachweisen), teils mit Duldung der Kirche, teils volkskanonisiert als durch Wunder legitimierte Märtyrer verehrt. > > Im Kern besagt die Legende: Ein Kind würde entführt oder gekauft, um ihm in langwierigen Martern unter Schmerzen das Blut zu entziehen. Dieses Blut diene nach Ansicht der Verfolger verschiedenen religiösen, magischen oder medizinischen Zwecken und finde bei der Zubereitung der Mazzot Verwendung. Der mittelalterliche Aberglauben berichtet davon, die Juden benötigten das Blut, um die Hörner zu beseitigen, mit denen alle Judenkinder geboren werden, als Gegenmittel, um ihren ureigenen Judengestank zu lindern, oder eine kleine Dosis Christenblut helfe als Medizin bei komplizierten Geburten. Der Wahnglaube behauptet, dass Menschenblut der Gottheit angenehm sei, vor allem, wenn es von einem unschuldigen Menschen stamme. Nach christlicher Ansicht verliert ein getauftes Kind seine Unschuld allmählich, und deshalb machte die Phantasie vorwiegend drei- bis zehnjährige Knaben zu Ritualmordopfern („innocens virgo et martyr“). Bestärkt wurde diese Fiktion durch die Meinung, das Blut von Knaben habe gegenüber Mädchenblut eine höhere Opferqualität. Verletzungen am Geschlechtsteil der männlichen Opfer wurden als Anzeichen für eine Beschneidung gedeutet. Rainer Erb, "Ritualmordbeschuldigung", Handbuch des Antisemitismus Bd. III, S. 293f.
IV. Laterankonzil
> Mit dem 4. Lateranischen Konzil 1215 forderte Papst Innozenz III. die ****sichtbare Kennzeichnung**** der Juden, da es der Kirche ein Greuel war, dass „Beziehungen zwischen Christen auf der einen und Jüdinnen [...] auf der anderen Seite – aber auch umgekehrt – stattgefunden [hatten]. Damit derart schreckliche Dinge in Zukunft nicht durch einen Irrtum entschuldigt werden können, wurde beschlossen, dass von jetzt ab die Juden beiderlei Geschlechts sich von den anderen Leuten durch ihre Kleidung unterscheiden müssen.” > Die Art und Weise der Kennzeichnung überließ man den einzelnen Regenten der Länder. Marion Neiss, "Kennzeichnung", Handbuch des Antisemitismus, S. 174. > In der Ritualmordbeschuldigung wird den Juden vorgeworfen, dass sie, aus Hass gegen Christus und die Christen, gemäß ihrer Lehre, unter Anleitung von Rabbinern, alljährlich in der Osterzeit zur neuerlichen Verhöhnung der Passion Jesu ein unschuldiges christliches Kind (meist einen Knaben) in ritueller Form ermorden (erste nachantike Beschuldigung: 1144 in Norwich). ****Nach der Verkündung der Transsubstantiationslehre durch das IV. Laterankonzil 1215 kam das Motiv der Blutentnahme hinzu.**** Rainer Erb, "Ritualmordbeschuldigung", Handbuch des Antisemitismus Bd. III, S. 293f. > ****Da für die seit dem vierten Laterankonzil 1215 sozial ausgegrenzten Juden das rigorose Wucherverbot der Kirche nicht galt, waren sie es, die den ebenso verfemten wie unentbehrlichen Beruf des Geldverleihers übernahmen.**** Sie gewährten nun den Kredit, ohne den die Wirtschaft seit dem Hochmittelalter nicht mehr funktionieren konnte. Ein Monopol, das die Juden freilich nur gegen hohe Abgaben, Zwangsdarlehen und Schutzgelder an Könige, Städte und Fürsten ausüben durften. Clemens Escher, "Wucherjude", Handbuch des Antisemitismus, S. 348.
Beruf des Geldverleihers (ausgenommen von 'Wucherverbot' der Kirche)
Forderung nach sichtbarer Kennzeichnung der Juden
> Eine sichtliche Unterscheidung zwischen Juden und Sarazenen (Muslimen) forderte bereits 634 der Kalif des arabischen Großreiches, um eine „Vermischung und Verwechslung der Ungläubigen mit den Gläubigen zu verhüten”. Dies betraf nicht nur die Juden, sondern auch die Christen der islamischen Länder. Sollten Letztere durch eine blaue Kopfbinde oder einen blauen Gürtel erkennbar sein, waren die Juden gezwungen, diese Accessoires in gelber Farbe zu tragen. > In den christlichen Ländern des Abendlandes zwangen einzelne Verordnungen – z.B. 1067 in Prag – die Juden zum Applizieren eines gelben Flickens auf die Kleidung; 30 Jahre später mussten die Juden Regensburgs ein gelbes Band tragen. > Mit dem 4. Lateranischen Konzil 1215 forderte Papst Innozenz III. die ****sichtbare Kennzeichnung**** der Juden, da es der Kirche ein Greuel war, dass „Beziehungen zwischen Christen auf der einen und Jüdinnen [...] auf der anderen Seite – aber auch umgekehrt – stattgefunden [hatten]. Damit derart schreckliche Dinge in Zukunft nicht durch einen Irrtum entschuldigt werden können, wurde beschlossen, dass von jetzt ab die Juden beiderlei Geschlechts sich von den anderen Leuten durch ihre Kleidung unterscheiden müssen.” > Die Art und Weise der Kennzeichnung überließ man den einzelnen Regenten der Länder. > > In Teilen Frankreichs trugen die Juden schon vor dem Jahr 1215 sichtbare Zeichen an der Kleidung; seit 1219 war ihnen ein kreisrunder gelber oder rot-weißer Flicken befohlen, der sowohl auf der Brust als auch auf dem Rücken der Kleidung zu befestigen war. In den einzelnen Regionen der Iberischen Halbinsel waren unterschiedliche Kennzeichen vorgeschrieben: Die Juden Spaniens hatten bis zu ihrer Vertreibung 1492 gelbe oder rote Flecke auf ihrer Kleidung oder Kopfbedeckung, in Portugal war ihnen ein gelber Hut oder ein sechseckiger gelber Stern auf der Kleidung vorgeschrieben. > In Italien war die Kennzeichnungspflicht Mitte des 14. Jahrhunderts eingeführt worden. Neben dem „gelben Fleck”, den die Männer tragen mussten, war den Frauen geboten, an ihrem Schleier zwei Streifen blauer Leinwand zu befestigen. In einigen italienischen Regionen war jüdischen Männern das Tragen eines gelben Baretts auferlegt, die Frauen mussten gelbe Kopftücher tragen. Erst seit 1798 waren die italienischen Juden vom Tragen dieser sichtbaren Zeichen befreit. > Auch Polen verhängte 1279 über die Juden das Gebot der Kennzeichnung, dem sich auch die Juden Litauens 1386 – nach der Vereinigung der beiden Reiche – zu unterwerfen hatten. Hier waren gelbe Mützen – zuweilen auch grüne spitze Hüte – und rote Flicken auf der Kleidung vorgeschrieben, letztere mussten auch die Juden Ungarns bis 1783 tragen. > > Die Nichtbeachtung dieser Verordnungen wurde mit Geldstrafen geahndet, doch konnte man sich auch von der Kennzeichnungspflicht loskaufen, wobei sich in beiden Fällen die Kassen der Landesherren füllten. > [...] > Mitte des 16. Jahrhunderts änderte sich die Kennzeichnungspflicht für Juden. Das bereits seit dem 13. Jahrhundert in Frankreich übliche Erkennungszeichen, ein safran gelber Ring oder runder Fleck auf der linken Seite der Oberbekleidung, wurde nun auch in den deutschsprachigen Ländern gefordert. In Augsburg wurde der „gelbe Fleck” zwar schon 1434 und in Bamberg 1451 vorgeschrieben, seine Verbreitung fand er in den deutschen Städten mit jüdischer Bevölkerung, wie in Trier, Fürth und Frankfurt am Main jedoch erst nach 1530. Die Wormser Juden waren darüber hinaus gezwungen, ihr Wohnhaus als von Juden bewohnt zu markieren. Marion Neiss, "Kennzeichnung", Handbuch des Antisemitismus, S. 174.
Friedrich II: "Knechte unserer Kammer"
> Die Kammerknechtschaft war das im Spätmittelalter allgemein anerkannte Rechtsinstitut, mit dem die Abhängigkeit der Juden des Heiligen Römischen Reiches von der Kammer (Finanzbehörde) des Kaisers umschrieben wurde. Eingeführt wurde sie 1236 von Kaiser Friedrich II., um den Juden als Personen minderen Rechts den gleichen Schutz zukommen zu lassen, wie ihn auch Christen genossen. Die ammerknechtschaft bot zugleich die rechtliche Grundlage zur Einziehung von Judensteuern, sollte aber keine weitere Rechtsminderung bewirken. Erst in der Zeit Rudolfs von Habsburg entstand die Vorstellung, dass dem Kaiser kraft der Kammerknechtschaft das freie Verfügungsrecht über Leib und Leben der Juden zustehe. Unter Friedrich III. wurde die Kammerknechtschaft nur noch zur Begründung einer Reichsunmittelbarkeit der Juden gegen Besteuerung in Anspruch genommen. > [...] > Voraussetzung für die Durchsetzung der Kammerknechtschaft war die seit dem Hochmittelalter als ausschließlich in Anspruch genommene Kompetenz des Kaisers bzw. des Papstes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Juden. Letzterer leitete seinen Anspruch aus der „servitus perpetua iudaeorum” her, die – auf Grund der behaupteten und untilgbaren Schuld der Juden am Leiden und Sterben Christi – eine umfassende Gebotsgewalt der Kirche über die Juden begründen sollte (so Papst Innozenz III.1205, übernommen in das „Liber extra” von 1234). > [...] > Im Heiligen Römischen Reich wurde die Verfügungsgewalt des Königs über die Juden erstmals im rheinfränkischen Landfrieden von 1179 normiert, in dem die Juden der Kammer des Kaisers zugeordnet wurden (iudei, qui ad fiscum imperatoris pertinent). Friedrich II. erweiterte diesen Rechtsgedanken, auch in Abwehr päpstlicher Ansprüche, durch die ****erstmals sogenannte kaiserliche Kammerknechtschaft (servitus camerae imperialis)****. Zur Bekräftigung schrieb er im gleichen Jahr (1236) an Papst Gregor IX., dass die Juden im Reich nach gemeinem Recht direkt seiner Gewalt unterstünden (iudeos autem etsi tam in imperio quam in regno nobis communi iure immediate subiaceant). ****Faktisch wurde so die theologisch begründete Judenknechtschaft zu einer im weltlichen Bereich wirkenden Kammerknechtschaft erweitert, um aus ihr unterschiedliche Schutz- und Herrschaftsrechte abzuleiten.**** Friedrich Battenberg, "Kammerknechtschaft", Handbuch des Antisemitismus, S. 169f.
'Kammerknechtschaft (Schutz- und Herrschaftsrechte)
> Die Kammerknechtschaft war das im Spätmittelalter allgemein anerkannte Rechtsinstitut, mit dem die Abhängigkeit der Juden des Heiligen Römischen Reiches von der Kammer (Finanzbehörde) des Kaisers umschrieben wurde. Eingeführt wurde sie 1236 von Kaiser Friedrich II., um den Juden als Personen minderen Rechts den gleichen Schutz zukommen zu lassen, wie ihn auch Christen genossen. Die ammerknechtschaft bot zugleich die rechtliche Grundlage zur Einziehung von Judensteuern, sollte aber keine weitere Rechtsminderung bewirken. Erst in der Zeit Rudolfs von Habsburg entstand die Vorstellung, dass dem Kaiser kraft der Kammerknechtschaft das freie Verfügungsrecht über Leib und Leben der Juden zustehe. Unter Friedrich III. wurde die Kammerknechtschaft nur noch zur Begründung einer Reichsunmittelbarkeit der Juden gegen Besteuerung in Anspruch genommen. > [...] > Voraussetzung für die Durchsetzung der Kammerknechtschaft war die seit dem Hochmittelalter als ausschließlich in Anspruch genommene Kompetenz des Kaisers bzw. des Papstes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Juden. Letzterer leitete seinen Anspruch aus der „servitus perpetua iudaeorum” her, die – auf Grund der behaupteten und untilgbaren Schuld der Juden am Leiden und Sterben Christi – eine umfassende Gebotsgewalt der Kirche über die Juden begründen sollte (so Papst Innozenz III.1205, übernommen in das „Liber extra” von 1234). > [...] > Im Heiligen Römischen Reich wurde die Verfügungsgewalt des Königs über die Juden erstmals im rheinfränkischen Landfrieden von 1179 normiert, in dem die Juden der Kammer des Kaisers zugeordnet wurden (iudei, qui ad fiscum imperatoris pertinent). Friedrich II. erweiterte diesen Rechtsgedanken, auch in Abwehr päpstlicher Ansprüche, durch die ****erstmals sogenannte kaiserliche Kammerknechtschaft (servitus camerae imperialis)****. Zur Bekräftigung schrieb er im gleichen Jahr (1236) an Papst Gregor IX., dass die Juden im Reich nach gemeinem Recht direkt seiner Gewalt unterstünden (iudeos autem etsi tam in imperio quam in regno nobis communi iure immediate subiaceant). ****Faktisch wurde so die theologisch begründete Judenknechtschaft zu einer im weltlichen Bereich wirkenden Kammerknechtschaft erweitert, um aus ihr unterschiedliche Schutz- und Herrschaftsrechte abzuleiten.**** Friedrich Battenberg, "Kammerknechtschaft", Handbuch des Antisemitismus, S. 169f.
Judensteuer
> Als Kammerknechte des Kaisers waren die Juden nach Ansicht der Juristen von Untertanenpflichten befreit, zugleich aber mit Schutzabgaben an die kaiserliche Kammer belastet. Unter Berufung auf den 70 n. Chr. eingeführten „fiscus iudaicus” bildete die Kammerknechtschaft die Rechtsgrundlage für die Einführung der Judensteuer (erstmals 1241), aus der sich im Laufe des Spätmittelalters der „Goldene Opferpfennig” (seit Kaiser Ludwig dem Bayern) und die Kronsteuer (seit Kaiser Sigmund) entwickelten. > > Mit der seit dem Spätmittelalter üblich werdenden Weiterverleihung der kaiserlichen bzw. königlichen Schutzrechte in Form von „Judenregalien” an andere Herrschaftsinhaber, erstmals als Rechtsgrundsatz im Verhältnis zu den Kurfürsten in der Goldenen Bulle von 1356 geregelt, weitete sich die normative Regelungskompetenz an alle Schutzherren als Inhaber des Judenregals aus. Der juristische Ausbau der Landeshoheit im Bereich des Heiligen Römischen Reichs seit dem 16. Jahrhundert hatte zur Folge, dass die zersplitterten Judenschutzrechte auf die Landesherren bergingen; diese konnten geltend machen, dass nur sie als Inhaber eines „territorium clausum” kraft ihres Gewaltmonopols zur Ausübung des Judenschutzes in der Lage seien. Friedrich Battenberg, "Kammerknechtschaft", Handbuch des Antisemitismus, S. 169f.
Zwangsdisputation (Paris)
> 1238 denunzierte Nikolaus Donin von La Rochelle, der 1236 zum Christentum konvertiert war, den Talmud bei Papst Gregor IX. Im Anschluss fand 1240 in Paris eine öffentliche Disputation zwischen christlichen und jüdischen Gelehrten statt, wobei Donin die christliche Seite vertrat. Der Talmud wurde wegen Blasphemie verurteilt, wobei das Argument seiner Unvereinbarkeit mit dem (christologisch gedeuteten) Alten Testament und seiner gleichzeitigen Autorität eine wichtige Rolle spielte. 1242 kam es zur Pariser Talmudverbrennung, bei der 24 Wagenladungen hebräischer Literatur verbrannt wurden. Disputationen fanden 1263 in Barcelona und 1413-14 in Tortosa statt, Verbrennungen rabbinischer Schriften wurden u.a. 1309 in Rom, 1319 in Toulouse und 1553 in Rom veranstaltet. Infolgedessen existiert heute lediglich eine (nahezu) vollständige Handschrift des Babylonischen Talmud, die in Frankreich (vermutlich 1342) angefertigt wurde. > [...] > Die Polemik gegen den Talmud wie überhaupt die christliche Sicht auf die Juden wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts von den sich erschärfenden kirchlichen Häresiediskursen beeinflusst und die augustinische Ansicht, dass Juden indirekte Zeugen für die Wahrheit des Christentums seien, trat zurück. Susanne Plietzsch, "Talmud-Polemik", Handbuch des Antisemitismus, S. 313.
Talmud wegen 'Blasphemie' verurteilt
> 1238 denunzierte Nikolaus Donin von La Rochelle, der 1236 zum Christentum konvertiert war, den Talmud bei Papst Gregor IX. Im Anschluss fand 1240 in Paris eine öffentliche Disputation zwischen christlichen und jüdischen Gelehrten statt, wobei Donin die christliche Seite vertrat. Der Talmud wurde wegen Blasphemie verurteilt, wobei das Argument seiner Unvereinbarkeit mit dem (christologisch gedeuteten) Alten Testament und seiner gleichzeitigen Autorität eine wichtige Rolle spielte. 1242 kam es zur Pariser Talmudverbrennung, bei der 24 Wagenladungen hebräischer Literatur verbrannt wurden. Disputationen fanden 1263 in Barcelona und 1413-14 in Tortosa statt, Verbrennungen rabbinischer Schriften wurden u.a. 1309 in Rom, 1319 in Toulouse und 1553 in Rom veranstaltet. Infolgedessen existiert heute lediglich eine (nahezu) vollständige Handschrift des Babylonischen Talmud, die in Frankreich (vermutlich 1342) angefertigt wurde. > [...] > Die Polemik gegen den Talmud wie überhaupt die christliche Sicht auf die Juden wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts von den sich erschärfenden kirchlichen Häresiediskursen beeinflusst und die augustinische Ansicht, dass Juden indirekte Zeugen für die Wahrheit des Christentums seien, trat zurück. Susanne Plietzsch, "Talmud-Polemik", Handbuch des Antisemitismus, S. 313.
Talmudverbrennung (Paris)
> 1238 denunzierte Nikolaus Donin von La Rochelle, der 1236 zum Christentum konvertiert war, den Talmud bei Papst Gregor IX. Im Anschluss fand 1240 in Paris eine öffentliche Disputation zwischen christlichen und jüdischen Gelehrten statt, wobei Donin die christliche Seite vertrat. Der Talmud wurde wegen Blasphemie verurteilt, wobei das Argument seiner Unvereinbarkeit mit dem (christologisch gedeuteten) Alten Testament und seiner gleichzeitigen Autorität eine wichtige Rolle spielte. 1242 kam es zur Pariser Talmudverbrennung, bei der 24 Wagenladungen hebräischer Literatur verbrannt wurden. Disputationen fanden 1263 in Barcelona und 1413-14 in Tortosa statt, Verbrennungen rabbinischer Schriften wurden u.a. 1309 in Rom, 1319 in Toulouse und 1553 in Rom veranstaltet. Infolgedessen existiert heute lediglich eine (nahezu) vollständige Handschrift des Babylonischen Talmud, die in Frankreich (vermutlich 1342) angefertigt wurde. > [...] > Die Polemik gegen den Talmud wie überhaupt die christliche Sicht auf die Juden wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts von den sich erschärfenden kirchlichen Häresiediskursen beeinflusst und die augustinische Ansicht, dass Juden indirekte Zeugen für die Wahrheit des Christentums seien, trat zurück. Susanne Plietzsch, "Talmud-Polemik", Handbuch des Antisemitismus, S. 313.
Zwangsdisputation (Barcelona)
> 1238 denunzierte Nikolaus Donin von La Rochelle, der 1236 zum Christentum konvertiert war, den Talmud bei Papst Gregor IX. Im Anschluss fand 1240 in Paris eine öffentliche Disputation zwischen christlichen und jüdischen Gelehrten statt, wobei Donin die christliche Seite vertrat. Der Talmud wurde wegen Blasphemie verurteilt, wobei das Argument seiner Unvereinbarkeit mit dem (christologisch gedeuteten) Alten Testament und seiner gleichzeitigen Autorität eine wichtige Rolle spielte. 1242 kam es zur Pariser Talmudverbrennung, bei der 24 Wagenladungen hebräischer Literatur verbrannt wurden. Disputationen fanden 1263 in Barcelona und 1413-14 in Tortosa statt, Verbrennungen rabbinischer Schriften wurden u.a. 1309 in Rom, 1319 in Toulouse und 1553 in Rom veranstaltet. Infolgedessen existiert heute lediglich eine (nahezu) vollständige Handschrift des Babylonischen Talmud, die in Frankreich (vermutlich 1342) angefertigt wurde. > [...] > Die Polemik gegen den Talmud wie überhaupt die christliche Sicht auf die Juden wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts von den sich erschärfenden kirchlichen Häresiediskursen beeinflusst und die augustinische Ansicht, dass Juden indirekte Zeugen für die Wahrheit des Christentums seien, trat zurück. Susanne Plietzsch, "Talmud-Polemik", Handbuch des Antisemitismus, S. 313.
Zwangsdisputation (Tortosa)
> 1238 denunzierte Nikolaus Donin von La Rochelle, der 1236 zum Christentum konvertiert war, den Talmud bei Papst Gregor IX. Im Anschluss fand 1240 in Paris eine öffentliche Disputation zwischen christlichen und jüdischen Gelehrten statt, wobei Donin die christliche Seite vertrat. Der Talmud wurde wegen Blasphemie verurteilt, wobei das Argument seiner Unvereinbarkeit mit dem (christologisch gedeuteten) Alten Testament und seiner gleichzeitigen Autorität eine wichtige Rolle spielte. 1242 kam es zur Pariser Talmudverbrennung, bei der 24 Wagenladungen hebräischer Literatur verbrannt wurden. Disputationen fanden 1263 in Barcelona und 1413-14 in Tortosa statt, Verbrennungen rabbinischer Schriften wurden u.a. 1309 in Rom, 1319 in Toulouse und 1553 in Rom veranstaltet. Infolgedessen existiert heute lediglich eine (nahezu) vollständige Handschrift des Babylonischen Talmud, die in Frankreich (vermutlich 1342) angefertigt wurde. > [...] > Die Polemik gegen den Talmud wie überhaupt die christliche Sicht auf die Juden wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts von den sich erschärfenden kirchlichen Häresiediskursen beeinflusst und die augustinische Ansicht, dass Juden indirekte Zeugen für die Wahrheit des Christentums seien, trat zurück. Susanne Plietzsch, "Talmud-Polemik", Handbuch des Antisemitismus, S. 313.
Talmudverbrennung (Rom)
> 1238 denunzierte Nikolaus Donin von La Rochelle, der 1236 zum Christentum konvertiert war, den Talmud bei Papst Gregor IX. Im Anschluss fand 1240 in Paris eine öffentliche Disputation zwischen christlichen und jüdischen Gelehrten statt, wobei Donin die christliche Seite vertrat. Der Talmud wurde wegen Blasphemie verurteilt, wobei das Argument seiner Unvereinbarkeit mit dem (christologisch gedeuteten) Alten Testament und seiner gleichzeitigen Autorität eine wichtige Rolle spielte. 1242 kam es zur Pariser Talmudverbrennung, bei der 24 Wagenladungen hebräischer Literatur verbrannt wurden. Disputationen fanden 1263 in Barcelona und 1413-14 in Tortosa statt, Verbrennungen rabbinischer Schriften wurden u.a. 1309 in Rom, 1319 in Toulouse und 1553 in Rom veranstaltet. Infolgedessen existiert heute lediglich eine (nahezu) vollständige Handschrift des Babylonischen Talmud, die in Frankreich (vermutlich 1342) angefertigt wurde. > [...] > Die Polemik gegen den Talmud wie überhaupt die christliche Sicht auf die Juden wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts von den sich erschärfenden kirchlichen Häresiediskursen beeinflusst und die augustinische Ansicht, dass Juden indirekte Zeugen für die Wahrheit des Christentums seien, trat zurück. Susanne Plietzsch, "Talmud-Polemik", Handbuch des Antisemitismus, S. 313.
Talmudverbrennung (Toulouse)
> 1238 denunzierte Nikolaus Donin von La Rochelle, der 1236 zum Christentum konvertiert war, den Talmud bei Papst Gregor IX. Im Anschluss fand 1240 in Paris eine öffentliche Disputation zwischen christlichen und jüdischen Gelehrten statt, wobei Donin die christliche Seite vertrat. Der Talmud wurde wegen Blasphemie verurteilt, wobei das Argument seiner Unvereinbarkeit mit dem (christologisch gedeuteten) Alten Testament und seiner gleichzeitigen Autorität eine wichtige Rolle spielte. 1242 kam es zur Pariser Talmudverbrennung, bei der 24 Wagenladungen hebräischer Literatur verbrannt wurden. Disputationen fanden 1263 in Barcelona und 1413-14 in Tortosa statt, Verbrennungen rabbinischer Schriften wurden u.a. 1309 in Rom, 1319 in Toulouse und 1553 in Rom veranstaltet. Infolgedessen existiert heute lediglich eine (nahezu) vollständige Handschrift des Babylonischen Talmud, die in Frankreich (vermutlich 1342) angefertigt wurde. > [...] > Die Polemik gegen den Talmud wie überhaupt die christliche Sicht auf die Juden wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts von den sich erschärfenden kirchlichen Häresiediskursen beeinflusst und die augustinische Ansicht, dass Juden indirekte Zeugen für die Wahrheit des Christentums seien, trat zurück. Susanne Plietzsch, "Talmud-Polemik", Handbuch des Antisemitismus, S. 313.
Talmudverbrennung (Rom)
Vertreibung aus England
> Vertreibung der Juden aus England und aus der Gascogne unter Edward I. (1272-1297). > V.a. im Finanzgeschäft tätig und darum verhaßt, gerieten die Judengemeinden, die gegenüber dem Hof ein Presbyter Judaeorum vertrat, schon im späten 12. Jh. in die Auseinandersetzungen zwischen König und Adel. Sie litten schwer im Bürgerkrieg, der ab 1258 (Aufstand der Barone) das Land zerriß, und danach übernahmen christliche Geldverleiher ihre ökonomische Funktion. Johann Maier 2005, S. 53f.
Teil der Auseinandersetzung zwischen Herrscher und Elite
> Vertreibung der Juden aus England und aus der Gascogne unter Edward I. (1272-1297). > V.a. im Finanzgeschäft tätig und darum verhaßt, gerieten die Judengemeinden, die gegenüber dem Hof ein Presbyter Judaeorum vertrat, schon im späten 12. Jh. in die Auseinandersetzungen zwischen König und Adel. Sie litten schwer im Bürgerkrieg, der ab 1258 (Aufstand der Barone) das Land zerriß, und danach übernahmen christliche Geldverleiher ihre ökonomische Funktion. Johann Maier 2005, S. 53f.
'Hostienfrevel' in Paris
> Die Konstitution der Hostienfrevellegende wird auf ein „Ereignis“ in Paris aus dem Jahr 1290 zurückgeführt, dessen Erstüberlieferung bereits erschiedene Versionen enthält. Danach beschaffte sich ein Jude eine Hostie und marterte diese, indem er sie mittels spitzer Werkzeuge durchstach, in kochendes Wasser und ins Feuer warf. Die Oblate blutete daraufhin und ließ das Bild des Gekreuzigten sichtbar werden. Der entdeckte Frevel wurde dem Pfarrer angezeigt, woraufhin der Jude verhört wurde. Er zeigte sich jedoch verstockt. Während seine Angehörigen und andere Juden die Taufe erbaten, endete der Jude als Hostienschänder auf dem Scheiterhaufen, weil er die Begnadigung zurückwies, die ihm im Falle der Bekehrung angeboten worden war. > Am Ort des Judenhauses wurde dann eine Kapelle errichtet, die von zahlreichen Pilgern aufgesucht wird, um die zur Schau gestellten Beweisstücke des wunderbaren Geschehens wie das heilige Blut zu verehren. Matthias Blum, "Hostienfrevel", HdA, S. 127f.
Hostienfrevellegende
> Hostienfrevellegenden und angebliche Hostienschändungsaffären gehören zu den bekannten Erscheinungsformen des → Antijudaismus im Mittelalter. Die Konstitution der Hostienfrevellegende wird auf ein „Ereignis“ in Paris aus dem Jahr 1290 zurückgeführt, dessen Erstüberlieferung bereits verschiedene Versionen enthält. > [...] > Die Hostienfrevellegende steht in ihrer Ausrichtung als Bekehrungs- und Strafwunder in der Tradition der Hostienwunder. Hostienwunder treten vermehrt als legendenhafte Erzählungen seit dem 11. Jahrhundert auf, entweder als Verwandlungswunder oder solche Wunder, die ohne Verwandlung die Macht des Sakraments beweisen wie Licht- oder Bannungswunder. Blutwunder zeigen sich als Folge einer Hostienschändung (durch Diebstahl oder Zweckentfremdung). Wird eine geweihte Hostie missbräuchlich entwendet, verwandelt sich diese in vielfältiger Form, etwa in blutendes Fleisch oder in das Abbild des Gekreuzigten. Verführte Christen finden daraufhin zum Glauben zurück, während ruchlose Christen, die die Hostie aufgrund ihrer vermeintlichen magischen Kräfte als Liebeszauber oder zur Abwehr oder Anwendung von Schadenszauber einsetzten und darin zweckentfremdet schändeten, bestraft werden. > [...] > In der Hostienfrevellegende wird jedoch das Bild vom „guten“ Juden, der nur anfänglich bösen Willens ist und schließlich doch die Taufe ersucht, durch das Bild vom „bösen“ und verstockten Juden ersetzt, den auch das großartigste Wunder nicht mehr bekehrt und der deshalb gerichtet werden muss. Die Pariser Erzählung bietet noch Übergangselemente vom Bekehrungs- zum Strafwunder, insofern dem schuldigen Juden die Möglichkeit der Bekehrung eingeräumt wird, seine Verstocktheit jedoch schlussendlich die Todesstrafe bedingt. Der Pariser Typus wurde zur Vorlage für viele Legenden über jüdische Hostienfrevel, die seinem Erzählschema folgten und darin ihre Überlieferung derart typisierten, dass keinerlei individuelle Züge mehr zu erkennen sind. Die Hostienschändungserzählungen können als typisches Beispiel einer „gentile tale“ (Miri Rubin) verstanden werden: eine von Christen für Christen erzählte Geschichte, die eine spezifische Funktion in der christlichen Gesellschaft hatte. Matthias Blum, "Hostienfrevel", HdA, S. 127f.
"Fleischpfand" mit Juden als Gläubiger
> Das zentrale Motiv in Shakespeares Komödie: The Merchant of Venice (MV) ist das Fleischpfand (F) Mot. J 1161.2: „Pound of flesh. Literal pleading frees man from pound of flesh contract". Das Motiv seinerseits ist Teil von AaTh 890: "A pound of flesh. The wife as judge saves her husband". > Seit langem befassen sich Literaturhistoriker, die den Quellen des MV nachspüren, ebenso mit dem Motiv wie Volkskundler, die ihm in Märchen und Balladen begegnen. Es ist die Absicht dieser Studie, Mot. J 1161.2 in seinen verschiedenartigen Gestaltungen und Kombinationen zu untersuchen, Ähnlichkeiten, Unterschiede und Abhängigkeiten seiner vielfaltigen Versionen aufzudecken und Fragen der Herkunft und möglichen Wanderungen zu diskutieren. > Die Untersuchung stützt sich auf 55 veröffentlichte Texte, die aufgrund ihres Inhalts in sechs Gruppen eingeteilt werden können. > [...] > Zwischen den Beispielen der sechs Gruppen gibt es darüber hinaus noch viele Übereinstimmungen. Es mag hilfreich sein, einen Überblick über die Züge zu geben, die wiederholt in den einzelnen Werken, in verschiedenen Gruppen und Gegenden erscheinen und so Einflüsse und Abhängigkeiten aufzeigen. Da das Thema der Untersuchung das F. ist, enthalten alle 55 Versionen: > 1. das F.; > 2. das Urteil, das den Schuldner oder den, der das F. einlösen soll, rettet, indem es sich ganz genau auf den Buchstaben der Abmachung beruft. > [...] > 3. Die meisten Gruppen nennen als Gläubiger einen Juden: Gruppe l (außer Ko, Tur, W); Gruppe 2 (außer Zel); Gruppe 3: Pec; Gruppe 4 (außer Ga, Gi, Ir, So, Za); die gesamte Gruppe 5; Gruppe 6: Ni. > [...] > > In den untersuchten Versionen wird der Jude oft als der Gegner eines Andersgläubigen (eines Moslem oder eines Christen) hingestellt, als ein Rivale der Kaufleute, als ein Fremder, der zu einer Gefahr für die Mitglieder einer Gesellschaft oder eines Glaubens werden kann. Im Nahen Osten erscheint er darüber hinaus häufig als der Rivale um die Gunst der Frau des Schuldners. In Europa wird sogar angedeutet, daß Juden Fleisch von Christen zu medizinischen Zwecken verwendeten (O) oder rituellen Mord an Christen verübten (Mo). Da solche Meinungen über die Juden im Volk verbreitet waren und da Juden im Mittelalter häufig Geld gegen Zinsen ausliehen, weil ihnen zeitweilig wenige andere Berufe offenstanden, konnte sich die Vorstellung leichter durchsetzen, daß ein Jude die Einlösung eines so unmenschlichen Vertrages einklagen würde. In einigen Quellen steigert sich diese Anschauung zum krassen Antisemitismus (z. B. Ger, Jor, JV, Mo). Eleonore Schamschula (1984): Das Fleischpfand; in: Fabula 25/3-4
'Cursor Mundi'
siehe "Fleischpfand"
Juden als 'Kollaborateure' auswärtiger Unterdrücker
>Wie in Elephantine unterstützen die Juden die verhaßten Besatzer (Perser in Elephantine/Römer in Alexandria) und schließen sich den einheimischen Ägyptern in ihrem Kampf gegen gegen die Unterdrückung nicht an. >Folglich kämpfen die Ägypter nicht nur gegen die Perser/römer, sondern auch gegen die Juden, die sie in ihren wesentlichen Forderungen (Tempelkult in Elephantine/Bürgerrecht in Alexandria) zu beschneiden versuchen; das berührt den empfindlichen Teil ihrer wechselseitigen Beziehung. >In einem vermeintlich günstigen Augenblick tun sie (die Ägypter beziehungsweise die Ägypter und die Griechen) sich mit den persischen/römischen Regionalbehörden (dem persischen Regionalgouverneur in Elephantine/dem römischen Präfekten in Alexandria) gegen die Juden zusammen - aber die persische/römische Oberherrschaft beschützt die Juden und bestraft den persischen/römischen Gouverneur. Selbst die Intervention 'auswärtiger' jüdischer Behörden, die von den Fremdherrschern unterstützt werden, ist beide Male vorhanden. Schäfer 2010, S. 196. >Was in Elephantine (wie auch in Alexandria) sehr stark zum Ausdruck kommt, ist ein ägyptischer Nationalismus, der von religiösen Emotionen genährt wird und sich gegen die auswärtigen Unterdrücker und ihre jüdischen 'Kollaborateure' richtet. Schäfer 2010, S. 197.
Beruf des Geldverleihers (ausgenommen von 'Wucherverbot' der Kirche)
1. Ausweisung aus Frankreich
> Der Erste Kreuzzug führte über ein Jahrhundert lang zu Anschuldigungen bezüglich der angeblichen jüdischen Ritualmorde, es folgten Verfolgung und Verbrennung. Kurz nach der Thronbesteigung Philipp des Zweiten, verhängte selbiger am 14. März 1182 den Befehl, an einem Samstag alle Juden in den Synagogen verhaften zu lassen und sie ihres Geldes und der zeremoniellen Kleidung zu berauben. Wenig später, im April, verfasste er ein Edikt zur Ausweisung französischer Juden und gewährte ihnen eine Verweilzeit von drei Monaten, um den Verkauf des privaten Besitztums zu ermöglichen. Dabei konfiszierte er jeglichen immobilen Besitz, also beispielsweise Häuser oder Felder. Die Juden versuchten zwar, die Nobilität für sich zu gewinnen, doch vergebens. > Im Juli schließlich wurden sie gezwungen, den Herrschaftsbereich Frankreichs zu verlassen, ihre Synagogen wurden in Kirchen umfunktioniert. Die konfiszierten Güter wurden sofort in Bares umgewandelt, was nahelegt, dass es sich hierbei schlicht um eine Methode handelte, den königlichen Staatshaushalt auszugleichen. [Wikipedia - Geschichte der Juden in Frankreich](https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Juden_in_Frankreich#Die_Vertreibung_(1182))
2. Ausweisung aus Frankreich
> Anfang des 14. Jahrhunderts war die Staatskasse der französischen Könige aufgrund der ständigen Konflikte praktisch geleert worden, und Philipp IV. (1285–1314) versuchte wieder zu Geld zu kommen, indem er sich der Besitztümer zweier ungeliebter Minderheiten bemächtigte. Sein erstes Opfer waren die jüdischen Gemeinden Frankreichs (sein zweites ein Jahr später der Templerorden). Er verurteilte die Juden zur Verbannung und bemächtigte sich ihrer Besitztümer. Diese wurden anschließend versteigert; der König war dabei jener, dem die wahren Kostbarkeiten zustanden, die man in den Häusern der Juden fand. > [...] > Am 22. Juli 1306, einem Tag nach dem 9. Aw (Tischa beAv), einem jüdischen Feiertag, wurden die Juden verhaftet. In der Haft erfuhren sie, dass sie zum Exil verurteilt worden waren. Innerhalb eines Monats, so wurde ihnen mitgeteilt, hatten sie, ohne ihre Besitztümer mit Ausnahme ihrer Kleider und der Summe von 12 Sous, Frankreich zu verlassen.
3. Ausweisung aus Frankreich (bis 17. Jh.)
> Am 17. September 1394 gab König Karl VI. schriftlich bekannt, dass ihm das Ausmaß des Unmuts über die vermeintlichen Exzesse und Vergehen der Juden an Christen schon lange bekannt sei. Nach Untersuchungen habe man festgestellt, dass es seitens der Juden mehrmals zu Brüchen ihrer Abmachung mit dem König gekommen sei. So wurde das unwiderrufliche Gesetz erlassen, dass fortan kein Jude in seinen Domänen leben sollte („Ordonnances“, vii. 675). Glaubt man dem „Réligieux de St. Denis“, so unterzeichnete Karl dies unter Druck der Königin Isabeau de Bavière, seiner Gemahlin, die für ihn die Regentschaft führte („Chron. de Charles VI.“ ii. 119). Das Gesetz trat sofort in Kraft. Den Juden wurde eine Frist gewährt, innerhalb derer sie ihren Besitz verkaufen und ihre Schulden begleichen konnten. Besagte Verschuldete mussten die Schulden in einer bestimmten Zeit selbst tilgen, andernfalls hatten auch die anderen Gemeindemitglieder die Kosten zu tragen. Der Vorstehende der jüdischen Gemeinde hatte die Pflicht, seine Gefolgsleute zu den Grenzen des Reiches zu führen. Die Christen wurden von ihren Schulden bei Juden befreit. Lediglich die Juden in der Dauphiné und in Trois-Évêchés genossen einen Sonderstatus.
"Goldene Bulle"
> Mit der seit dem Spätmittelalter üblich werdenden Weiterverleihung der kaiserlichen bzw. königlichen Schutzrechte in Form von „Judenregalien” an andere Herrschaftsinhaber, erstmals als Rechtsgrundsatz im Verhältnis zu den Kurfürsten in der Goldenen Bulle von 1356 geregelt, weitete sich die normative Regelungskompetenz an alle Schutzherren als Inhaber des Judenregals aus. > Das IX. Kapitel. Über Gold-, Silber- und andere Bergwerke. > > .1. Wir bestimmen mit dem gegenwärtigen, für alle Zeiten gültigen Gesetz und erklären mit bestem Wissen, ****daß Unsere Nachfolger als Könige von Böhmen sowie alle geistlichen und weltlichen Kurfürsten, die in Zukunft sein werden – einzeln und insgesamt – sämtliche Gold- und Silbergruben und Bergwerke für Kupfer, Zinn, Blei, Eisen, Stahl und beliebige andere Metalle wie auch für Salz****, soweit sie bereits abgeteuft sind oder künftig abgeteuft werden, die sich in dem vorerwähnten Königreich und jenen Ländern und zugehörigen Gebieten, die diesem Königreich folgepflichtig sind, befinden, und ebenso die vorerwähnten Fürsten, die in ihren Fürstentümern, Ländern, Herrschaften und zugehörigen Gebieten gelegenen Bergwerken ****rechtmäßig besitzen und ohne jede Beeinträchtigung mit allen Rechten nutzen können, wie man dergleichen gewöhnlich nutzen kann und nutzt, sowie auch, daß sie Juden aufnehmen und die in früherer Zeit errichteten und festgesetzten Zölle erheben können****, was auch Unsere Vorfahren, die Könige von Böhmen seligen Angedenkens, sowie die Kurfürsten und ihre Vorfahren und Vorgänger bis in die Gegenwart rechtmäßig tun konnten, wie dies bekanntermaßen nach alter löblicher, bewährter und seit unvordenklich langer Zeit geübter Gewohnheit gehalten worden ist. Goldene Bulle 1358 - [Übersetzung von Raph Glücksmann](http://ra.smixx.de/media/files/Goldene-Bulle-1356.pdf)
"Blutreinheits"-Statut (Toledo)
> Der Begriff „limpieza de sangre“ entstand im Spanien des 15. Jahrhunderts als Konzept zur Ausgrenzung von Personen, die aufgrund ihrer jüdischen oder moslemischen Abstammung vermeintlich von „unreinem Blut“ waren, auch wenn sie christlich getauft waren. Es handelte sich damit um ein Schema von sozialer Ungleichheit, das mit der Kategorie des „Blutes“ eine auf Geburt und Abstammung begründete Komponente enthielt und sich aus einem antijudaistischen Motiv speiste. > „Limpieza de sangre“ wurde 1449 erstmals als Statut der Stadt Toledo verschriftlicht und entwickelte sich dann zu einer verbindlichen Rechtsnorm weiter, die die Krone 1556 offiziell anerkannte. Zur Ausübung öffentlicher und kirchlicher Ämter sowie zur Mitgliedschaft in angesehenen Institutionen war demnach in Teilen bis ins 19. Jahrhundert hinein ein genealogischer Nachweis erforderlich. Personen mit nichtchristlichen Vorfahren, die diesen nicht erbringen konnten, blieben ausgeschlossen. Im Verlauf der Frühen Neuzeit sahen sie sich in den spanischen Herrschaftsgebieten wiederholt Verfolgungen durch die Inquisition ausgesetzt. > Die Durchsetzung der „Limpieza de sangre“ war eng mit der machtpolitischen Expansion Spaniens im Rahmen der Reconquista verbunden. Sie war Teil einer seit dem 15. Jahrhundert mit Nachdruck verfolgten Religionspolitik, die darauf abzielte, die religiöse Einheitlichkeit der heterogenen Reichsteile und später auch der Kolonien herzustellen und abzusichern. > > Durch die erzwungene Massenkonversion zunächst von Juden später auch von Moslems ergab sich aus altchristlicher Sicht ein Dilemma, das sich nach der Ausweisung der Juden (1492) und Moslems (1502) aus Spanien und der Zwangskonversion der Verbliebenen noch vertiefte. Die Neuchristen ( → Conversos) und ihre Nachkommen, die man verächtlich „marranos“ [Marranen] bzw. „moriscos“ [Morisken] nannte, wurden verdächtigt, ihren Glauben im Geheimen weiter zu praktizieren, d.h. zu judaisieren“. Dabei richteten sich die Angriffe vor allem gegen Personen jüdischer Abstammung, da diese durch ihre städtische Lebensweise und engen Kontakte zur altchristlichen Gesellschaft als größere Gefahr galten als Personen moslemischer Herkunft. Der Hass gegen die Neofiti und ihre Nachfahren speiste sich nicht zuletzt aus Neid, da diese ein hohes Maß an sozialer Mobilität an den Tag gelegt hatten. Stefan Rinke, "Limpieza de sangre [Reinheit des Blutes], HdA, S. 191f.
"Blutreinheit"
> Der Begriff „limpieza de sangre“ entstand im Spanien des 15. Jahrhunderts als Konzept zur Ausgrenzung von Personen, die aufgrund ihrer jüdischen oder moslemischen Abstammung vermeintlich von „unreinem Blut“ waren, auch wenn sie christlich getauft waren. Es handelte sich damit um ein Schema von sozialer Ungleichheit, das mit der Kategorie des „Blutes“ eine auf Geburt und Abstammung begründete Komponente enthielt und sich aus einem antijudaistischen Motiv speiste. > „Limpieza de sangre“ wurde 1449 erstmals als Statut der Stadt Toledo verschriftlicht und entwickelte sich dann zu einer verbindlichen Rechtsnorm weiter, die die Krone 1556 offiziell anerkannte. Zur Ausübung öffentlicher und kirchlicher Ämter sowie zur Mitgliedschaft in angesehenen Institutionen war demnach in Teilen bis ins 19. Jahrhundert hinein ein genealogischer Nachweis erforderlich. Personen mit nichtchristlichen Vorfahren, die diesen nicht erbringen konnten, blieben ausgeschlossen. Im Verlauf der Frühen Neuzeit sahen sie sich in den spanischen Herrschaftsgebieten wiederholt Verfolgungen durch die Inquisition ausgesetzt. > Die Durchsetzung der „Limpieza de sangre“ war eng mit der machtpolitischen Expansion Spaniens im Rahmen der Reconquista verbunden. Sie war Teil einer seit dem 15. Jahrhundert mit Nachdruck verfolgten Religionspolitik, die darauf abzielte, die religiöse Einheitlichkeit der heterogenen Reichsteile und später auch der Kolonien herzustellen und abzusichern. > > Durch die erzwungene Massenkonversion zunächst von Juden später auch von Moslems ergab sich aus altchristlicher Sicht ein Dilemma, das sich nach der Ausweisung der Juden (1492) und Moslems (1502) aus Spanien und der Zwangskonversion der Verbliebenen noch vertiefte. Die Neuchristen ( → Conversos) und ihre Nachkommen, die man verächtlich „marranos“ [Marranen] bzw. „moriscos“ [Morisken] nannte, wurden verdächtigt, ihren Glauben im Geheimen weiter zu praktizieren, d.h. zu judaisieren“. Dabei richteten sich die Angriffe vor allem gegen Personen jüdischer Abstammung, da diese durch ihre städtische Lebensweise und engen Kontakte zur altchristlichen Gesellschaft als größere Gefahr galten als Personen moslemischer Herkunft. Der Hass gegen die Neofiti und ihre Nachfahren speiste sich nicht zuletzt aus Neid, da diese ein hohes Maß an sozialer Mobilität an den Tag gelegt hatten. Stefan Rinke, "Limpieza de sangre [Reinheit des Blutes], HdA, S. 191f.
Inquisition in Spanien (gegen 'Juden')
> Die Initiative zur Wiederbelebung der Inquisition kam 1477 aus dem Königreich Kastilien, das zuvor diese Einrichtung nicht gekannt hatte. > Ausgelöst wurde sie durch die große Zahl von konvertierten Juden ( → Conversos) und deren Nachfahren, die wiederum Ergebnis eines großflächigen Pogroms im Jahr 1391 und nachfolgender antijüdischer Gesetze war. 1478 erlaubte Papst Sixtus IV. die Einrichtung der Inquisition in Kastilien. Anders als außerhalb der Iberischen Halbinsel stand fortan die spanische Inquisition unter der Kontrolle des Königshauses. Päpstliche Versuche, Einfluss auf Personalauswahl und Funktionsweise zu erlangen, blieben erfolglos. Den Großinquisitor bestimmte in der Praxis der König alleine, dessen Vorschlag der Papst formal bestätigte. > [...] > In den ersten Jahrzehnten konzentrierte sich die Inquisition auf die Verfolgung – angeblich oder tatsächlich – judaisierender Conversos. Sie ging dabei mit großer Brutalität vor. Der Großteil der von der Inquisition bis zu ihrer definitiven Abschaffung 1834 verhängten Todesurteile fällt in diese Zeit. > In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wandte sich die Inquisition gegen Lutheraner. Als auch diese Ketzerei weitgehend ausgelöscht war, traf es die Moriscos (konvertierte Muslime) oder deren Nachfahren. 1609 wurden sie des Landes verwiesen. Den weitaus höchsten Anteil unter den Angeklagten der Inquisition stellten nun aber christliche Spanier, denen Verstöße gegen religiöse Vorschriften oder (zahlenmäßig noch bedeutsamer) gegen Moral und Sitten vorgeworfen wurden. Alleine die Fälle von Bigamie waren mit 5 Prozent zwischen 1540 und 1614 ebenso häufig vertreten wie die des Judaisierens. Auch die Zensur von Druckerzeugnissen war nun ein wichtiges Betätigungsfeld der Inquisition. Angebliche Hexerei hingegen wurde in Spanien kaum verfolgt. Im 18. Jahrhundert standen erneut Fälle von Judaisieren sowie die Ideen der → Aufklärung im Fokus der Inquisition, die aber zunehmend an Bedeutung verlor. Brend Rother, "Inquisition in Spanien", HdA, S. 130-132.
Ausweisung aus Spanien
> Bis 1500 bildete die sephardische Diaspora den Schwerpunkt, doch 1492 begann mit dem Alhambra-Edikt die Vertreibung der Juden, die seit Jahrhunderten auf der Iberischen Halbinsel ansässig und integriert waren; die Mehrheit von ihnen fand Zuflucht im Osmanischen Reich. Carina Baganz, "Diaspora", HdA, S. 56.
"Reuchlin-Streit"
> Im 16. Jahrhundert kam es, betrieben durch den jüdischen Konvertiten Johannes Pfefferkorn (1496-1523), erneut zu einer Beschuldigung des Talmud bzw. der rabbinischen Schriften, dass sie im Widerspruch zu Pentateuch und Prophetenbüchern stünden und die Juden von der inwendung zum Christentum abhalten würden. Im Streit um die Einziehung jüdischer Schriften zum Zweck ihrer Prüfung sprach sich Johannes Reuchlin (1455-1522) aus juristischen Gründen und wegen seiner Hochschätzung der hebräischen Sprache für die Rückgabe der Schriften aus. Susanne Plietzsch, "Talmud-Polemik", HdA, S. 313f. > 1504 konvertiert in Köln der mährische Jude Johannes Pfefferkorn und berät die Dominikaner in Fragen des Judentums. Seine Behauptungen, die jüdische Literatur stecke voller christenfeindlicher Aussagen, führt zur Forderung von Bücherverbrennungen, wogegen 1511/12 Johannes Reuchlin (1455-1522) an der Spitze von mehreren Humanisten zunächst mit Erfolg auftritt, bis Pfefferkorn ab 1514 Unterstützung aus Rom erhält. Mit Ausbruch der Reformation rückt die Streitfrage jedoch in den Hintergrund. Maier 2005, S. 63.
'Brunnenvergiftung'
> Mit der Ausbreitung der Pest im 14. Jahrhundert kam es zu Massakern an den Juden, die die formal religiöse Begründung der Feindschaft der Juden gegen die christliche Religion gar nicht mehr anführten, sondern vom Vorwurf des Menschenhasses und der Rachsucht getragen waren, so dass hier die Taufe keine Alternative und Möglichkeit zur Rettung des Lebens mehr bot. Matthias Blum, "Zwangstaufe", HdA, S. 354. > Schon in der Antike begegnet der Vorwurf, dass Epidemien durch Brunnenvergiftung verursacht seien. Im Hinblick auf die Juden als Brunnenvergifter ist dieser Vorwurf 1321 in Südfrankreich belegt. > Juden sollten auf muslimische Initiative hin – so der Vorwurf – christliche Aussätzige angestiftet haben, ihre christlichen Mitbrüder durch vergiftetes Brunnenwasser zu ermorden. Dieses Vorhaben hätten die Juden durch Geldzahlungen und Giftlieferung unterstützt. Diese Theorie einer angeblichen Verschwörung der Feinde des Christentums, der Muslime und Juden, trug wohl auch 1321/22 zur Vertreibung der Juden aus dem Königreich Frankreich bei. Mit dem Auftreten der Pest im Frühjahr 1348 wurde nun den Juden direkt vorgeworfen, die Brunnen vergiftet zu haben. Das Gerücht wurde in Savoyen durch erpresste Geständnisse offiziell bestätigt. Die Prozessprotokolle wurden an Städte in der Schweiz und im Elsass weitergeleitet. Dabei wurde der Vorwurf erneut mit einer jüdischen Weltverschwörung in Verbindung gebracht. Arno Herzig, "Brunnenvergiftung", HdA, S. 49.
Pest-Pogrome
> Die größte Pogromwelle des Mittelalters, die die Juden im Reich in den Jahren 1348 bis 1350 heimsuchte, sich vom Süden nach Norden wälzte und in kurzer Zeit die meisten Judensiedlungen im Reich zerstörte (nur Böhmen, Österreich und den großen Reichsstädten Regensburg blieben verschont), wurde von einer anderen Begründung getragen: von dem Märchen der Vergiftung der Brunnen und Quellen durch Juden und ihre christlichen Helfeshelfer, die daruch die Pest bewirkt hätten. > [...] > Während die vorangehenden und manche nachfolgende Pogrome ohne langfristige Folge blieben, leiten die Judenmorde der Jahre 1348 bis 1350 eine echte Wende ein. Obzwar in die meisten Städte recht bald nach dem 'Judenschlagen' Juden zurückkehrten, begann mit dieser Verfogungswelle sich die entscheidende Wende in der Stellung der Juden im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit anzubahnen, ihre Vertreibung aus beinah allen Städten, ihr Ausschluß aus dem Geldhandel mittleren Umfangs (am großen Geldhandel waren sie schon vorher nicht beteiligt gewesen, ihre weitgehende Beschränkung auf den Kleinstkredit und auf den Handel mit Trödel. Graus 1981, S. 70 und S. 81. > Mit der Ausbreitung der Pest im 14. Jahrhundert kam es zu Massakern an den Juden, die die formal religiöse Begründung der Feindschaft der Juden gegen die christliche Religion gar nicht mehr anführten, sondern vom Vorwurf des Menschenhasses und der Rachsucht getragen waren, so dass hier die Taufe keine Alternative und Möglichkeit zur Rettung des Lebens mehr bot. Matthias Blum, "Zwangstaufe", HdA, S. 354.
"Schwarze Pest"
Luther: 'Von den Juden und ihren Lügen'
> Indem Luther Gerüchte jüdischer Proselytenmacherei aufnahm oder gar selbst aufbrachte, um Durchzugs- und Bleiberechte von Juden in Kursachsen und darüber hinaus aufzuheben, setzte er sich an die Spitze einer dezidiert antijüdischen Politik, die in den späten 1530er und frühen 1540er Jahren deutlich an Boden gewann. Luthers obsessiver und obszöner Judenhass, der sich insbesondere in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543) entlud und an menschenverachtender Gewaltbereitschaft hinter Ecks die Ritualmordlegende verteidigender Schrift „Ains Judenbüchleins Verlegung“ (1540) schwerlich zurückstand, erreichte zwar zeitweilig die Austreibung der Juden aus Kursachsen und der Grafschaft Mansfeld, wurde aber weder im späteren 16. noch in den folgenden Jahrhunderten die maßgebliche oder gar die einzige Position lutherischer Theologie und Kirche zur Judenfrage. Thomas Kaufmann, "Reformation", HdA, S. 288. > Die Reformation übernahm den mittelalterlichen → Antijudaismus einschließlich der Ablehnung des Talmud. Obgleich Luther zu Beginn seiner Wirksamkeit noch auf die Bekehrung der Juden gehofft hatte, forderte er 1543 in „Von den Juden und ihren Lügen“, den Juden den Talmud zu entziehen und das Lehren der Rabbiner zu verbieten. Die seit ca. 1440 an der Wittenberger Stadtkirche vorhandene Darstellung der → „Judensau“ brachte Luther in „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi“ (1544) mit dem Talmudstudium in Verbindung. Susanne Plietzsch, "Talmud-Polemik", HdA, S. 314.
"Reformation"
Shakespeare: 'Der Kaufmann von Venedig'
> Das zentrale Motiv in Shakespeares Komödie: The Merchant of Venice (MV) ist das Fleischpfand (F) Mot. J 1161.2: „Pound of flesh. Literal pleading frees man from pound of flesh contract". Das Motiv seinerseits ist Teil von AaTh 890: "A pound of flesh. The wife as judge saves her husband". > Seit langem befassen sich Literaturhistoriker, die den Quellen des MV nachspüren, ebenso mit dem Motiv wie Volkskundler, die ihm in Märchen und Balladen begegnen. Es ist die Absicht dieser Studie, Mot. J 1161.2 in seinen verschiedenartigen Gestaltungen und Kombinationen zu untersuchen, Ähnlichkeiten, Unterschiede und Abhängigkeiten seiner vielfaltigen Versionen aufzudecken und Fragen der Herkunft und möglichen Wanderungen zu diskutieren. Eleonore Schamschula (1984): Das Fleischpfand; in: Fabula 25/3-4
'Fettmilch-Aufstand'
Eisenmenger: 'Entdecktes Judenthum'
> Neuzeitliche und moderne Talmud-Polemiken gehen vor allem auf das von Johann Andreas Eisenmenger (1654-1704) verfasste Werk „Entdecktes Judenthum“ (Frankfurt 1700) zurück. Nach jahrelangem, unter dem Vorwand des Wunsches zum Übertritt erfolgenden Studium bei Rabbinern stellte Eisenmenger in tendenziöser Weise rabbinische Textpassagen im Original und in Übersetzung zusammen, die religiöse Irrtümer sowie Feindschaft und Überlegenheitsbewusstsein von Juden gegenüber Christen belegen sollen. > > Auf Eisenmenger bezieht sich die antisemitische Schrift des katholischen Theologieprofessors August Rohling (1839-1931) „Der Talmudjude“ (Münster 1871). Im Unterschied zum „Entdeckten Judenthum“ enthält „Der Talmudjude“ entstellte und gefälschte angebliche Zitate aus dem Talmud und dem Sohar, die u.a. Ritualmord, vor allem aber verschwörerische Feindseligkeit der Juden gegenüber ihrer Umwelt belegen sollen. In verleumderischer Absicht geht Rohling weit über Eisenmenger hinaus. „Der Talmudjude“ wurde vor allem im → Nationalsozialismus zu einem Standardwerk des Antisemitismus. Susanne Plietzsch, "Talmud-Polemik"; HdA, S. 314.
Voltaire: 'Dictionaire philosophique'
> Den Aufklärungsphilosophen, die die christliche Offenbarungslehre verwarfen und sich für eine auf Gesetzen der Natur und universeller Moral basierten Naturreligion einsetzten, galt auch das Judentum als eine barbarische Religion, als moralisch verkommen, starr und intolerant. Für Kant, Voltaire und die französischen Enzyklopädisten besitzen die Juden keine allgemeine Menschheits- oder Weltreligion, da ihnen der Jenseitsglaube fehle. Sie würden unterwürfig den geoffenbarten Gesetzen gehorchen und seien dadurch unfähig, autonom zu denken und zu handeln. > [...] > Kennzeichnend für diese von den christlichen Aufklärungsphilosophen propagierte Kluft zwischen Judentum und Vernunftglaube ist die Tendenz, dass Juden nicht mehr ausschließlich als Angehörige einer Religionsgemeinschaft betrachtet wurden, sondern zunehmend als Nation, Volk, Staat oder „Rasse“. Die religionsgeschichtlich abgeleitete Unmoral der Juden solle sich ihrer Ansicht nach sowohl in ihren leiblichen als auch in ihren seelischen Charakterzügen offenbaren. ****Für Voltaire gehören die Juden einer minderwertigen Menschenart“, einer „semitischen Rasse“ an, die vom Willen zur Fortpflanzung und zum Geld bestimmt sei.**** > Er schreibt ihnen Unwissenheit, barbarische Sprache, Hass auf andere Völker, Grausamkeit, Aberglaube und verschiedene sexuelle Perversionen zu und charakterisiert sie als „das abscheulichste Volk der Erde“ Agnieszka Pufelska, "Aufklärung", HdA, S. 34f.
"Dreißigjähriger Krieg"
"minderwertige Menschenart"
> Die Aufklärungsphilosophie ist keine homogene Geistesströmung, vielmehr muss sie als ein komplexes Gebilde aus Diskursen, Denkbildern und Theorien verstanden werden. Trotz dieser Vielschichtigkeit lässt sich als ihre Grundtendenz die Forderung nach einer mündigen, vernünftigen und sittlichen Gesellschaft erkennen. Bei der aufklärerischen Suche nach einer idealen Gesellschaftsform handelte es sich weniger um eine Konstruktion von Neuem, sondern vor allem um die Emanzipation von den bestehenden Strukturen und Denkansätzen. Die bisher ausgeschlossenen Gruppen wie die Juden erfuhren in dieser vernunftgeleiteten Aufforderung zur Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit Inklusions- und xklusionsmechanismen, die neu definiert und mit neuen, meist säkularen Argumenten legitimiert wurden. > [...] > Kennzeichnend für diese von den christlichen Aufklärungsphilosophen propagierte Kluft zwischen Judentum und Vernunftglaube ist die Tendenz, dass Juden nicht mehr ausschließlich als Angehörige einer Religionsgemeinschaft betrachtet wurden, sondern zunehmend als Nation, Volk, Staat oder „Rasse“. Die religionsgeschichtlich abgeleitete Unmoral der Juden solle sich ihrer Ansicht nach sowohl in ihren leiblichen als auch in ihren seelischen Charakterzügen offenbaren. ****Für Voltaire gehören die Juden einer minderwertigen Menschenart“, einer „semitischen Rasse“ an, die vom Willen zur Fortpflanzung und zum Geld bestimmt sei.**** > [...] > Für Kant sind die Juden eine „Nation von Betrügern“. Dies führt er auf eine Gemütsschwäche der Seele zurück, die er als ein spezifisch jüdisches Charaktermerkmal begreift. In den Darstellungen von Kants Schüler Fichte schließlich fungieren die Juden als ein „Staat im Staate“, der „auf den Hass des ganzen menschlichen Geschlechts aufgebaut“ sei. Gleichzeitig spricht er von den Juden als „einem Volke“, das „sich zu dem den Körper erschlaffenden, und den Geist für jedes edle Gefühl tödtenden Kleinhandel verdammt hat und verdammt wird“. Agnieszka Pufelska, "Aufklärung", HdA, S. 34f.
"sexuelle Perversionen"
> [Voltaire] schreibt ihnen Unwissenheit, barbarische Sprache, Hass auf andere Völker, Grausamkeit, Aberglaube und verschiedene sexuelle Perversionen zu und charakterisiert sie als „das abscheulichste Volk der Erde“ Agnieszka Pufelska, "Aufklärung", HdA, S. 34f.
"Aufklärung"
Haskalah ("jüd. Aufklärung")
franz. Revolution
Napoleon
Märzrevolution
Vormärz
Frankreich: Bürgerrechte
> Zwar verabschiedete die französische Nationalversammlung im August 1789 die allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte, die Juden aber waren davon zunächst ausgenommen. Nach Debatten, in denen immer wieder Bedenken gegen die Gleichberechtigung der Juden vorgebracht worden waren, verlieh die Nationalversammlung zwei Jahre später, im September 1791, schließlich auch den Juden bürgerliche Rechte. > Schon kurz darauf aber wurden die Juden in Frankreich Opfer der antireligiösen Politik der Jakobiner. Die Herrschaft Napoleons brachte zwar auch in den neuen, von ihm zugeschnittenen Staaten wie dem Königreich Westfalen und dem Großherzogtum Warschau, oder in Venedig und Rom erste Emanzipationsgesetze, doch schon wenig später erließ Napoleon mit dem „Décret infâme“ von 1808 Sondergesetze für Juden und höhlte damit das Prinzip der rechtlichen Gleichheit aus. In der Toskana waren die politischen Umwälzungen im Zeitalter Napoleons von heftigen antijüdischen Ausschreitungen der „Viva-Maria-Bewegung“ begleitet. Ulrich Wyrwa, "Emanzipation der Juden", HdA, S. 65.
Dohm: 'Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden"
> Zur entscheidenden und europaweit rezipierten Programmschrift für die Integration der Juden in die Gesellschaft wurde die 1781 von dem preußischen Beamten Christian Wilhelm von Dohm vorgelegte Abhandlung „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“. Diese, sowie die unmittelbar darauf erlassenen Toleranzedikte für Juden im Habsburgischen Kaiserreich durch Josef II. markieren den Beginn des Zeitalters der Emanzipation. Judenfeindliche Einstellungen wurden in dieser Phase etwa von Geistlichen wie dem Göttinger Theologen Johann David Michaelis formuliert, die mit den Angriffen auf die Juden ihren Protest gegen die gesellschaftlichen Umbrüche und den Bedeutungsverlust der Kirche verknüpften. Ulrich Wyrwa, "Emanzipation der Juden", HdA, S. 65. > Die den Antisemitismus kennzeichnende Annahme, die Juden selbst seien die Ursache der ihnen entgegengebrachten Ablehnung, wird erstmals von bürgerlichen Liberalen Ende des 18. Jahrhunderts bestritten. Sie behaupten, die „Mängel des Judentums“ resultierten aus der jahrhundertelangen Verfolgung der Juden. Würde man die Juden emanzipieren, würde dies zur „bürgerlichen Verbesserung der Juden“ und zu ihrer Angleichung führen (Dohm). Diese emanzipatorische und assimilatorische Haltung dominierte die frühe Kritik des Antisemitismus. Sie stand im Kontext der → Aufklärung und der französischen Revolution, die die Möglichkeit eröffnet hatten, die Juden als gleichberechtigte Bürger anzuerkennen. Da aber das Versprechen auf → Emanzipation mit der Frage verbunden wurde, ob das Jüdische nicht assimilatorisch ganz verschwin den werde oder solle, entstand ein ambivalenter Diskurs, in dem einerseits erste Elemente einer Theorie des Antisemitismus entwickelt wurden und andererseits der → moderne Antisemitismus wesentlich verwurzelt ist. Klaus Holz, "Theorien des Antisemitismus", HdA, S. 316.
"Bürgerliche Verbesserung" / Assimilation
> Die den Antisemitismus kennzeichnende Annahme, die Juden selbst seien die Ursache der ihnen entgegengebrachten Ablehnung, wird erstmals von bürgerlichen Liberalen Ende des 18. Jahrhunderts bestritten. Sie behaupten, die „Mängel des Judentums“ resultierten aus der jahrhundertelangen Verfolgung der Juden. Würde man die Juden emanzipieren, würde dies zur „bürgerlichen Verbesserung der Juden“ und zu ihrer Angleichung führen (Dohm). Diese emanzipatorische und assimilatorische Haltung dominierte die frühe Kritik des Antisemitismus. Sie stand im Kontext der → Aufklärung und der französischen Revolution, die die Möglichkeit eröffnet hatten, die Juden als gleichberechtigte Bürger anzuerkennen. Da aber das Versprechen auf → Emanzipation mit der Frage verbunden wurde, ob das Jüdische nicht assimilatorisch ganz verschwin den werde oder solle, entstand ein ambivalenter Diskurs, in dem einerseits erste Elemente einer Theorie des Antisemitismus entwickelt wurden und andererseits der → moderne Antisemitismus wesentlich verwurzelt ist. > Diese Ambivalenz trat schon in der Kontroverse zwischen Moses Mendelssohn und Johann Caspar Lavater zu Tage, als dieser Mendelssohn 1769 aufforderte, sich taufen zu lassen. Sie führte in den folgenden Jahrzehnten zu einer vielfältigen Auseinandersetzung, begleitet von dem langwierigen, keineswegs geradlinigen Prozess der rechtlichen Gleichstellung der Juden, die in Deutschland erst 1869 erreicht wurde. Klaus Holz, "Theorien des Antisemitismus", HdA, S. 316.
"Hepp-Hepp-Krawalle"
> Judenfeindliche Unruhen (Hepp-Hepp) in Frankfurt, Würzburg und anderen Orten. Maier 2005, S. 77. > Hepp-Hepp ist ein antisemitischer Hetz- und Spottruf, der den Hepp-Hepp-Krawallen von 1819 den Namen gegeben hat. > [...] > Im Umfeld der pogromartigen Ausschreitungen von 1819 waren die „Hepp-Hepp“-Rufe der eindeutig erkennbare Schlachtruf, um die Menschen zu judenfeindlichen Protesten zu mobilisieren. Die Behörden wussten, dass, wenn dieser Ruf ertönte, oder wenn er in schriftlicher Form auftrat, Unruhen drohten. Sie waren deshalb an der Unterdrückung des Begriffs interessiert und versuchten auch seine Bedeutung zu ergründen, um der Motivation der Täter auf die Spur zu kommen. Die Verwendung des Ausdrucks wurde beispielsweise in Hamburg 1819 unter Strafe gestellt. Daniel Gerson, "Hepp-Hepp", HdA, S. 116f.
"Bürgerliche Verbesserung" / Assimilation
> Die den Antisemitismus kennzeichnende Annahme, die Juden selbst seien die Ursache der ihnen entgegengebrachten Ablehnung, wird erstmals von bürgerlichen Liberalen Ende des 18. Jahrhunderts bestritten. Sie behaupten, die „Mängel des Judentums“ resultierten aus der jahrhundertelangen Verfolgung der Juden. Würde man die Juden emanzipieren, würde dies zur „bürgerlichen Verbesserung der Juden“ und zu ihrer Angleichung führen (Dohm). Diese emanzipatorische und assimilatorische Haltung dominierte die frühe Kritik des Antisemitismus. Sie stand im Kontext der → Aufklärung und der französischen Revolution, die die Möglichkeit eröffnet hatten, die Juden als gleichberechtigte Bürger anzuerkennen. Da aber das Versprechen auf → Emanzipation mit der Frage verbunden wurde, ob das Jüdische nicht assimilatorisch ganz verschwin den werde oder solle, entstand ein ambivalenter Diskurs, in dem einerseits erste Elemente einer Theorie des Antisemitismus entwickelt wurden und andererseits der → moderne Antisemitismus wesentlich verwurzelt ist. > Diese Ambivalenz trat schon in der Kontroverse zwischen Moses Mendelssohn und Johann Caspar Lavater zu Tage, als dieser Mendelssohn 1769 aufforderte, sich taufen zu lassen. Sie führte in den folgenden Jahrzehnten zu einer vielfältigen Auseinandersetzung, begleitet von dem langwierigen, keineswegs geradlinigen Prozess der rechtlichen Gleichstellung der Juden, die in Deutschland erst 1869 erreicht wurde. Klaus Holz, "Theorien des Antisemitismus", HdA, S. 316.
Renan: 'Études d’Histoire Religieuse'
> So haben sowohl der Begriff des Semitischen als auch der Begriff Antisemitismus ihren Ursprung in den Rassentheorien des 19. Jahrhunderts. Während das Semitische als Gegenbegriff zum „Arischen“ im Kontext der philologischen Völkerkunde (Ernest Renan) eingeführt wurde, war Antisemitismus zunächst ein verwissenschaftlichender Begriff zur Selbstbeschreibung einer neuen, als Welterklärung und Weltanschauung auftretenden Form von Judenfeindschaft, wie sie 1879 von Wilhelm Marr gefordert und rasch von anderen Antisemiten in einen rassentheoretischen Begründungshorizont gestellt wurde. Christian Geulen, "Rassentheorien", HdA, S. 276.
Marr: 'Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum'
> Ein Thema der Antisemitismusforschung ist auch die Definition des Begriffs Antisemitismus, der seit seiner Entstehung 1879 im Umkreis des Journalisten Wilhelm Marr einen Diskussionsgegenstand bildet. Er diente als Selbstbezeichnung einer politisch-sozialen Bewegung, deren wichtigstes Ziel die Bekämpfung des Judentums war. > Er wollte sich durch den Neologismus von den traditionellen religiösen Formen der Judenfeindschaft distanzieren, gleichzeitig aber auch durch das Suggerieren einer pseudowissenschaftlichen Sachlichkeit das wahre Objekt der Aggression verschleiern. Angelika Königseder, "Antisemitismusforschung", HdA, S. 20. > Am Tiefpunkt der aus dem Gründerkrach resultierenden „Großen Depression“ ließ Wilhelm Marr in seiner Schrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“ (1879) einen Begriff wieder aufleben, den wohl zuerst Hartwig von Hundt-Radowsky in seiner „Judenschule“ (1822/23) verbreitete, und er bemerkte, man teile „die Börsenleute in ‚weisse‘ und ‚schwarze‘ Juden“ ein, um Juden von „verjudeten“ Nichtjuden abzugrenzen. Die Antisemiten stellten auch einem deutsch-„schaffenden“, industriell-agrarischen ein jüdisch-„raffendes“ Kapital gegenüber. Matthew Lange, "Bankjuden", HdA, S. 42.
"Gründerkrach"
"Gründerkrise"
"Berliner Antisemitismusstreit"
> Heinrich von Treitschke verwendete in seinem Aufsatz „Unsere Aussichten“ vor dem schrillen Fortissimo „Die Juden sind unser Unglück“ einige Zeilen auf die Thematik Judentum und Presse. Dabei gerierte sich der Gelehrte als pädagogisch-moralische Instanz, die vom Katheder aus altväterlich Zeitkritik übt: „Der kleine Mann läßt sich nicht mehr ausreden, daß die Juden die Zeitungen schreiben, darum will er ihnen nicht mehr glauben.“ An dieser Konjunktur des Vorwurfs jüdisch dominierter Gazetten beteiligten sich im Kontext des Berliner Antisemitismusstreits 1879-1881 in ihrer politischen Ausrichtung so unterschiedliche Blätter wie die Familienzeitschrift „Gartenlaube“, die konservative „Kreuzzeitung“ und das Zentrumsblatt „Germania“, die sich in ganzen Artikelserien auf den Antisemitismus als kleinsten gemeinsamen Nenner wider den Liberalismus einigen konnten; immer wieder tauchten in diesem Diskurs die Termini „Judenpresse“, „Semitenpresse“ u.ä. auf. Clemens Escher, "Judenpresse", HdA, S. 156.
Treitschke: 'Unsere Aussichten'
> Heinrich von Treitschke verwendete in seinem Aufsatz „Unsere Aussichten“ vor dem schrillen Fortissimo „Die Juden sind unser Unglück“ einige Zeilen auf die Thematik Judentum und Presse. Dabei gerierte sich der Gelehrte als pädagogisch-moralische Instanz, die vom Katheder aus altväterlich Zeitkritik übt: „Der kleine Mann läßt sich nicht mehr ausreden, daß die Juden die Zeitungen schreiben, darum will er ihnen nicht mehr glauben.“ Clemens Escher, "Judenpresse", HdA, S. 156. > Neid, Missgunst und Ressentiments brachen sich insbesondere nach der Gründerkrise (1873) verstärkt Bahn und bildeten in seiner Formationsphase einen Kernbereich des sich ausbildenden Antisemitismus. > Heinrich von Treitschke brachte dies in seinem Aufsatz „Unsere Aussichten“ 1879 auf den Punkt, als er das Bild von strebsamen, Hosen verkaufenden Jünglingen beschwor, deren Kinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen würden. Schon jetzt, so Treitschke, säße der Jude in tausend deutschen Dörfern und kaufe seine Nachbarn wuchernd aus. Christoph Kreutzmüller, "Wirtschaftsantisemitismus", HdA, S. 346.
'Dreyfus-Affäre'
> Dreyfus-Affäre in Frankreich. Der Offizier Alfred Dreyfus (1856-1935) wurde 1895 zu Unrecht wegen Spionage verurteilt, 1899 begnadigt und 1906 schließlich rehabilitiert. > Theodor Herzl (180-1904) publiziert die programmatische Schrift *Der Judenstaat* [...]. Maier 2005, S. 91. > Die Rezeption in der politischen Polemik operiert mit dem Instrument des Verdachts und benützt antisemitische Klischees, wie etwa das der jüdischen Presse. Die Dreyfus-Affäre, die das Thema „Judas und Verrat“ vollends antisemitisch instrumentalisiert, konnotiert auch Judaslohn in gleicher Weise. Rainer Kampling, "Judaslohn", HdA, S. 144f.
"Bankjuden"/"Schacherjuden" - "schaffendes" vs. "raffendes" Kapital
> Seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Haus Rothschild zum Inbegriff des jüdischen Finanzwesens schlechthin, das die Macht und den Einfluss der früheren christlichen Bankhäuser Europas bald überschattete. Die Verzweigung der Familie in den wichtigsten europäischen Hauptstädten führte auch dazu, dass man erstmals von einer jüdischen Weltverschwörung sprach. Als sich der Kapitalismus im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte, sah man eine Gefahr in der Dominanz solcher jüdischen Finanziers. In seinem Schauerroman „Biarritz“ (einer Quelle der „Protokolle der Weisen von Zion“) schilderte Hermann Goedsche alias Sir John Redcliffe schon 1868 die vermeintlichen Bank- und Börsenaktionen der Juden, die das Geld als Waffe anwenden sollten: > > „Alle Fürsten und Länder Europa’s sind heute verschuldet. Die Börse regelt diese Schulden. Solche Geschäfte macht man aber nur mit mobilem Kapital, deshalb muß alles mobile Kapital in den Händen Israels sein. [...] Indem wir die Börse beherrschen, beherrschen wir das Vermögen der Staaten." > In Krisenzeiten werden die Juden als Hintermänner und Drahtzieher vermutet, die ihre eigenen Vorteile aus den wirtschaftlichen Umwälzungen ziehen. Das Bild der Juden als finanzielle Dämonen erhielt mit dem Börsenkrach von 1873 Nahrung. Man suchte eifrig nach den Schuldigen, aber schonte das System der Börsenspekulation und gab sich mit einem Sündenbock zufrieden, den Bank- oder Börsenjuden. Besonders nach dem → Gründerkrach, der sich kurz nach der Emanzipation der Juden im neuen Kaiserreich ereignete, sah man die Juden als eine sozio-ökonomische Gefahr, als Anstifter und Nutznießer der Krise. > [...] > > Am Tiefpunkt der aus dem Gründerkrach resultierenden „Großen Depression“ ließ Wilhelm Marr in seiner Schrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“ (1879) einen Begriff wieder aufleben, den wohl zuerst Hartwig von Hundt-Radowsky in seiner „Judenschule“ (1822/23) verbreitete, und er bemerkte, man teile „die Börsenleute in ‚weisse‘ und ‚schwarze‘ Juden“ ein, um Juden von „verjudeten“ Nichtjuden abzugrenzen. Die Antisemiten stellten auch einem deutsch-„schaffenden“, industriell-agrarischen ein jüdisch-„raffendes“ Kapital gegenüber. Matthew Lange, "Bankjuden", HdA, S. 42.
"Judenfrage"
> Die Formulierung „jüdische Frage“ findet sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts, um Probleme zu kennzeichnen, die sich für die Zeitgenossen aus der → Emanzipation der Juden ergaben. In England wurde unter diesem Titel über die Naturalisierung und den Landbesitz von Juden diskutiert („Reply to the Famous Jew Question“, 1753), und die französische Nationalversammlung debattierte 1790 über die Rechtsstellung der Juden („la question sur les juifs“). Auch in den Emanzipationsdebatten vor und nach dem Wiener Kongress wurde über die „jüdische Frage“ noch nicht in einem allgemeinen und rein negativen Sinn gesprochen, vielmehr benutzten auch Befürworter der Emanzipation diese Wendung. > [...] > 1838 tauchte „Die Jüdische Frage“ in zwei Aufsätzen erstmals explizit als antijüdisches Schlagwort auf, das seinen Durchbruch in der knappen Fassung als „Judenfrage“ in den öffentlichen Kontroversen über den Status der Juden in Preußen 1843/44 erlebte. Kritisiert wurde dabei der Status der Juden als korporative Gruppe, die sich im Verlauf der Emanzipation eben nicht – wie erhofft – aufgelöst oder zur reinen Konfession umgebildet hatte. In seiner einflussreichen religionsphilosophischen Schrift „Die Judenfrage“ von 1843 (unter dem Titel „Die Juden-Frage“ bereits 1842 in den Jahrbüchern für Wissenschaft und Kunst publiziert) versuchte der Linkshegelianer Bruno Bauer nachzuweisen, dass die Juden als Gruppe nicht emanzipiert werden könnten, sondern dass auch die aufgeklärtesten Juden dem Wesen des Judentums mit seinem Exklusivitäts- und Auserwähltheitsanspruch und dem Streben nach „Alleinherrschaft“ verhaftet blieben und damit letztlich Krieg gegen die Menschheit führten. > [...] > Diese mit antijüdischen Vorurteilen unterfütterte Schrift veranlasste Karl Marx 1844 zu seiner Replik „Zur Judenfrage“, in der er die eligionsphilosophische in eine sozioökonomische Frage umformulierte. > [...] > In diesem Sinne [die Möglichkeit leugnen, die Juden in die christliche Gesellschaft zu integrieren, und die Gefahr einer jüdischen Dominanz in Wirtschaft, Politik und Kultur beschwören] propagierte Otto Glagau den Begriff in einer antisemitischen Artikelserie (1874/75), indem er „die soziale Frage“ als „Judenfrage“ definierte und die Juden für die Gründerkrise von 1873 ( → Gründerschwindel) verantwortlich machte. Die katholische Zeitung „Germania“ folgte 1875 mit ihrer Artikelserie „Die Judenfrage“. Mit der antisemitischen „Berliner Bewegung“ unter Führung des Hofpredigers Adolf Stoecker wurde ab 1879 „die jüdische Frage“ zum öffentlichen Thema und gab den Titel für Hunderte von Broschüren und Aufsätzen ab, in denen die „Judenfrage“ ganz verschieden definiert wurde. > [...] > Der Begriff „Judenfrage“ setzte sich, wie auch die Umbenennung des „Antisemiten-Katechismus“ von Theodor Fritsch in „Handbuch der Judenfrage“ ab 1896 zeigt, als gebräuchliches Schlagwort durch, in dem die Antisemiten die Existenz der Juden als ein die christlichen Nationalstaaten gefährdendes und in irgendeiner Weise zu lösendes Problem definierten. Werner Bergmann, "Judenfrage", HdA, S. 147f.
Bauer: 'Die Judenfrage'
> 1838 tauchte „Die Jüdische Frage“ in zwei Aufsätzen erstmals explizit als antijüdisches Schlagwort auf, das seinen Durchbruch in der knappen Fassung als „Judenfrage“ in den öffentlichen Kontroversen über den Status der Juden in Preußen 1843/44 erlebte. Kritisiert wurde dabei der Status der Juden als korporative Gruppe, die sich im Verlauf der Emanzipation eben nicht – wie erhofft – aufgelöst oder zur reinen Konfession umgebildet hatte. In seiner einflussreichen religionsphilosophischen Schrift „Die Judenfrage“ von 1843 (unter dem Titel „Die Juden-Frage“ bereits 1842 in den Jahrbüchern für Wissenschaft und Kunst publiziert) versuchte der Linkshegelianer Bruno Bauer nachzuweisen, dass die Juden als Gruppe nicht emanzipiert werden könnten, sondern dass auch die aufgeklärtesten Juden dem Wesen des Judentums mit seinem Exklusivitäts- und Auserwähltheitsanspruch und dem Streben nach „Alleinherrschaft“ verhaftet blieben und damit letztlich Krieg gegen die Menschheit führten. Werner Bergmann, "Judenfrage", HdA, S. 147f.
"Judenpresse"
I. Zionistischer Weltkongress
Judenedikt (Preußen)
Mendelssohn: 'Briefe über die Empfindungen'